Ich bin alt und brauche das Geld
sagte ich.
Die Kneipe war gesteckt voll, aber die lärmende, anheimelnd familiäre Atmosphäre war genau das, was ich jetzt wollte und brauchte. Inklusive einem großen Glas kühlen, frischen Ebbelwoi oder Stöffsche, wie die Frankfurter ihr Nationalgetränk liebevoll nannten.
»Einen Vierer-Bembel bitte«, rief Adrian der Bedienung quer durch das Lokal zu, während er uns den Weg zu einem Stehtisch bahnte, an dem gerade noch Platz für zwei Personen war. Die Bedienung brachte uns den dickbauchigen graublauen Steinkrug. Adrian schenkte uns zwei Gerippte voll, die typischen, von einem kreuzweisen Muster überzogenen Frankfurter Apfelwein-Gläser. Wir bestellten uns Brezeln und aßen sie in einträchtigem Schweigen. Dazu tranken wir den Apfelwein, der lecker und erfrischend war. Die Leute, mit denen wir uns den Stehtisch teilten, zahlten bald darauf ihre Zeche und gingen, worauf wir uns ein bisschen bequemer hinstellen konnten.
»Alles in Ordnung?«, fragte Adrian. Er musste laut sprechen, um den Geräuschpegel um uns herum zu übertönen.
Ich nickte.
»Ich hätte dir das vorhin gerne erspart«, sagte er.
»Du hast es gehört?«
»Jedes Wort. Diese Idioten. Es tut mir sehr leid.«
»Dir muss es nicht leidtun, du hast ja nichts gemacht.«
»Trotzdem waren es Idioten. Ich hoffe, du ärgerst dich nicht zu sehr.«
»Höchstens über mich selbst. Weil ich rausgerannt bin, statt denen die Meinung zu sagen.«
Adrian deutete zum Ausgang. »Wenn du willst, gehen wir zurück und machen sie fertig. Und essen hinterher Gnocchi.«
Ich musste lachen. »Nein, jetzt habe ich zwei Brezeln verputzt und bin satt. Und der Apfelwein schmeckt bestimmt mindestens genauso gut wie der Chianti, den sie bei dem Italiener als Hauswein haben.« Ich prostete ihm zu, und er prostete zurück. Eigentlich war es doch noch ein ganz netter Abend, und bald war ich fast wieder so gut gelaunt wie vor den blöden Sprüchen des Urnentypen und seiner Freunde. Wir ergatterten freie Sitzplätze und bestellten einen zweiten Bembel. Es war zu laut, um sich ernsthaft zu unterhalten, aber das machte nichts. Die Geschichten über seine Durchhänger konnte Adrian mir auch ein andermal erzählen (vermutlich waren sie sowieso schrecklich deprimierend, ich hatte genug Geschichten über eigene Durchhänger auf Lager) – heute Abend reichte es mir völlig, entspannt hier mit ihm zu sitzen, mich hübsch zu fühlen und Apfelwein zu trinken. Und ab und zu seinen Blick aufzufangen und dabei dieses besondere Prickeln zu spüren.
Doro hatte recht. Das Leben hatte mich wieder. Und ich das Leben.
*
Auf dem Heimweg wurde es dann richtiggehend lustig. Ich hatte ungefähr einen Bembel intus. Der Alkoholgehalt von Apfelwein ist nicht besonders hoch, nur etwa halb so viel wie bei anderem Wein, aber in der Menge reichte es, mich in verklärte Stimmung zu versetzen. Ich war nicht betrunken – als jemand vom Fach wusste ich ziemlich genau, was ich vertrug –, aber ein bisschen beschwipst, meine Laune hätte nicht prächtiger sein können. Ich fühlte mich federleicht, fast so, als könnte ich schweben. Meine Füße, die vor einer Stunde noch wie die Hölle gebrannt hatten, spürte ich so gut wie gar nicht mehr. Als wir an einer Kneipe vorbeikamen, aus der Musik zu hören war, summte ich die Melodie mit. Ab und zu wandte ich mich zu Adrian um und tauschte einen langen Blick mit ihm. Im Laternenschein funkelten seine Augen viel intensiver als sonst. Die Luft war wie mit Verheißung aufgeladen.
»Das war ein wundervoller Abend«, sagte ich, als wir vor unserem – nein, Adrians – Haus ankamen und er die Tür aufschloss.
»Das finde ich auch. Und was mich betrifft, muss er noch nicht aufhören.«
Im Haus war es still. Mittlerweile war es nach elf, Natascha hatte wie versprochen die Musik abgestellt. Falls sie noch feierte, war es jedenfalls nicht mehr zu hören.
Adrian machte Licht und ließ mir auf der Treppe den Vortritt. Auf dem Weg nach oben stolperte ich einmal kurz, und sofort legte er seine Hand auf meinen Rücken und stützte mich. Anschließend blieb die Hand dort liegen, wo sie war – genau zwischen meinen Schulterblättern, auf der nackten Haut meines Rückenausschnitts. Sie fühlte sich warm an. Nein, heiß. Jetzt erst, mit Verzögerung, drang zu mir durch, was er zuletzt gesagt hatte.
Er meinte doch wohl nicht … Das konnte doch nicht …
Oh. Oh Gott! Fieberhaft hakte ich eine Art mentale Checkliste ab. Haare gewaschen, Körperpeeling gemacht, Kaltwachs
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