Ich bin alt und das ist gut so
desto glücklicher wirst du – schließlich hörst du ganz auf zu suchen, ruhst total in dir selbst, brauchst keine Ergänzung von außen mehr. Um diesen Zustand zu erreichen, muss man meditieren – aber auch den Körper, den Tempel der Seele, pflegen und schmücken. Du hast da ein bissl ein Nachholbedürfnis, ich weiß. Tu dir mal was Gutes! Geh in den Schönheitssalon, lass dir eine Schönheitsbehandlung machen. Da gibt es eine tolle Amerikanerin, die stellt dir die Farben zusammen, die für deinen Typ richtig sind.«
Gehört, getan. Schnurstracks meldete ich mich an und ließ mir alles angedeihen, was es Gutes gab. Fühlte mich geliebt und schön.
Als ein Mensch, der sein Leben lang Komplexe gehabt und sich immer hässlich fand – was mir zwar selten jemand abnimmt, es ist aber so –, traue ich mich in westliche Etablissements dieser Art nur nach Überwindung hinein. Die elfenhaft erscheinenden Wesen, die dort wirken, signalisieren mir schon durch ihr Aussehen, dass bei mir Hopfen und Malz verloren ist.
Im Ashram-Salon dagegen fühlte ich mich behandelt, als sei ich eine Göttin, als sei noch alles möglich. Die Amerikanerin Lilian war mir schon aufgefallen ihres besonders aparten, sensiblen Aussehens wegen. Ich musste lachen, sie geriet geradezu in Euphorie, so toll fand sie mich. Meine grauen Haare, meine tiefgründigen Augen – »Was, der große Mund ist doch schön! Du musst betonen, was du hast. Du brauchst klare, kühle Farben, starke Kontraste, aber keine scharfen Ecken oder geometrische Muster – huh, wie grässlich!« Damit legte sie, das Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse verzogen, ein Farbmuster beiseite, das ihr nun überhaupt nicht für mich gefiel, mir übrigens auch nicht. Ungefähr 100 Stoffstücke hielt sie an mein Gesicht, rote, blaue, grüne, die ganze Farbskala. Die Hälfte wurde verworfen, die andere Hälfte für gut befunden. Das Erstaunliche war, alle für mich ausgesuchten Farben harmonierten auch untereinander, ob Rot oder Grün oder Violett, ich konnte sie mir gut in meinem Kleiderschrank vorstellen.
»Gib alles weg, was nicht in diese Skala passt. Du hast die Sachen sowieso lange nicht getragen, hab ich recht?«, fragte Lilian.
Sie hatte recht. Wenn ich schon mal losziehe, um mir etwas Neues zum Anziehen zu kaufen, habe ich zwar meistens eine genaue Vorstellung von Farbe und Form; die Verkäuferin redet mir aber so lange ein, die gewünschte Farbe sei gerade nicht »in« oder gerade »out«, dass ich schon ihr zuliebe abziehe mit etwas, das ich ungern oder nie trage. Mit Lilians Farbenkarte jedoch – sie hat mir von jedem ausgesuchten Stoff ein kleines Muster in eine Karte geklebt – marschiere ich ab jetzt zielstrebig ins Geschäft, weise sie vor, sage: Nur diese Farben, nichts anderes kommt in Frage – und gehe wieder raus, wenn ich das nicht kriege.
Einfach – und auf die Dauer billiger. Ich kaufe nichts Falsches mehr.
»Raffiniert, sophisticated und elegant« will Lilian mich sehen – wenn Schmuck, dann ein einzelnes Stück, möglichst oval, Gürtel z. B. mit ovaler Schnalle, gute Stoffe, einfache Schnitte – »Und vergiss nie«, hat sie dazugeschrieben: »The wardrobe is a facility, a vehicle for your own silent communication.« Was ich in etwa so interpretierte: Die Garderobe ist ein Transportmittel – für meine eigene Ausstrahlung.
Die Farbenberaterin, in Amerika schon gang und gäbe, findet auch in unseren Städten immer mehr Anklang. Es gibt Stylistinnen, die ins Haus kommen, um gerade berufstätigen Frauen mit wenig Zeit die Garderobe zusammenzustellen. Die Stylistin schaut sich den Kleiderschrank an, sortiert aus, zieht dann durch die Geschäfte, die sie natürlich in- und auswendig kennt, und kehrt am nächsten Tag mit den Stücken zurück, die sie als Ergänzung für geeignet hält, sodass frau in Ruhe aussuchen und verwerfen kann.
Keine schlechte Idee, wenn ich daran denke, wie viel Rennerei und Nervenkraft und Zeit gerade die Berufstätige sparen kann – abgesehen von den Komplexen, die man unweigerlich kriegt, sieht man sich im Laden neben der todschicken Verkäuferin stehen.
Sie wissen dann endlich auch, ob Sie ein Frühlings-, Sommer-, Herbst- oder Wintertyp sind, können nach den Gesetzen des Goldenen Schnittes sogar ausrechnen, wie weit Sie von den Idealmaßen abweichen, die der Grieche Pythagoras als ideale Proportionen des »schönen Menschen« aufgestellt hat:
»Der kleine Teil muss in demselben Verhältnis zum großen Teil stehen wie
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