Ich bin an deiner Seite

den Baum mit den Gebetsfähnchen gesehen hatte, wusste sie, dass es ein Wunschbaum war.
    Sie schob sich das aufgerollte Bild vorne in den Hosenbund und kletterte auf den Wunschbaum, wobei sie darauf achtete, keines der Gebetsfähnchen abzureißen. Sie kletterte nur bis zu den sich kräuselnden kleine Fähnchen, nicht höher, weil ihr das nicht richtig vorkam. Sie suchte sich einen kleinen Spalt zwischen zwei Ästen und schob das Papier hinein. Erst, als sie sicher war, dass ihr Bild dort fest verankert war, stieg sie wieder herunter, zufrieden, ihrer Mutter ein solches Bild hinterlassen zu können.
    Mattie rannte zu ihrem Vater, und ihre Lungen schmerzten von der dünnen Luft. Er lachte, als sie näher kam, und sie streckte ihre Hand aus und nahm ihm die Schnur ab. Sie war überrascht, wie heftig der Drache an der Schnur zog. »Er will höher fliegen«, sagte sie und stellte sich auf Zehenspitzen, damit der Drache das tun konnte.
    »Kannst du ihm das vorwerfen, Schatz?«
    »Nein, das kann ich nicht. Ich möchte auch höher fliegen.«
    Er lächelte. »Was hast du in den Baum gehängt?«
    »Es ist ein Wunschbaum. Und ich habe ein Bild für Mami dagelassen. Ein Bild von dir, wie du den Drachen fliegen lässt.«
    Er strich mit dem Finger über ihre Wange. »Das ist wundervoll, Ru. Du bist wundervoll.«
    Sie japste, als ein Windstoß am Drachen riss. »Hilf mir, Papa.«
    Er beugte sich vor, und seine Hand legte sich über ihre und hielt die Schnur fest. »Du machst mich sehr stolz, Ru – weißt du das? Ich schätze, ich könnte nicht stolzer auf dich sein. Es tut mir leid, dass ich dir das nicht immer sage. Ich weiß, dass deine Mutter das gemacht hat. Sie war viel besser darin als ich. Und sie hatte recht. Sie hatte recht und ich nicht, und ich bin so verdammt stolz auf dich.«
    Mattie lächelte und ging näher zu ihm. »Du hast dein Bestes getan, Papa. Und du hast mich jeden Abend die Treppe hinaufgetragen. Selbst als du müde warst.«
    »Dich die Treppe raufzutragen war der Höhepunkt meines Tages.«
    »Meiner auch.«
    Ian küsste ihre Wange und hob sie hoch, damit der Drache noch höher fliegen konnte. Er hob sie hoch, bis seine Arme ganz ausgestreckt waren, bis sie näher am Everest war und an ihrer Mutter und an so vielen anderen wundervollen Dingen, von denen er sich wünschte, dass sie sie einmal erleben würde.

Thailand
    Das Land des Lächelns
    Borge Dir etwas von deiner Großmutter,
um ihr Süßigkeiten zu kaufen.
Thailändisches Sprichwort
    Ian,
    weißt Du noch, als wir in Thailand waren, mein Liebster? Diese drei Wochen gehörten zu den besten meines Lebens. Ich saß hinter Dir auf diesem alten Motorrad, und wir fuhren durch das Land. Wir haben alte Tempel besucht. Wir sind mit Haien geschwommen. Wir haben uns an diesem Strand ohne Namen geliebt. Es gab nur uns beide – immer. Und da wusste ich, dass ich Dich wirklich liebe, weil ich nicht mit meinen Freunden oder meiner Familie oder sogar mit mir selbst reden wollte. Ich wollte nur Dich.
    Wirst Du Mattie zeigen, was Du mir gezeigt hast? Sie liebt die Natur so sehr, auch wenn wir in Manhattan nicht viel davon haben. Geh mit ihr im Südchinesischen Meer schwimmen. Spiel mit ihr Frisbee an einem leeren Strand. Lach mit ihr über einer Schüssel scharfer Suppe. Du kannst ihr dort die Welt öffnen. Die Thailänder sind so fröhliche Menschen, obwohl viele von ihnen ein schweres Leben haben. Lass Mattie ihr Leiden und ihre Fröhlichkeit sehen. Sie kann daraus lernen. Und Du auch.
    In Thailand habe ich angefangen, an Wiedergeburt zu glauben. Die Thailänder waren so gut darin – sie sahen in allem ihre Vorfahren. Wenn Du also da bist – sei sicher, dass ich nicht weit weg bin.
    Hier ist ein Gedicht für Dich, das Du im Paradies lesen sollst.
    In Dir
    Wie kann ich von Dir getrennt werden,
wenn ich ein Teil von Dir bin?
    Verlässt die Sonne jemals den Himmel?
Oder geht sie nur, um einen anderen Teil davon zu erleuchten?
    Verschwindet der Wind je am Ende des Sturms?
Oder bläst er nur an einem anderen Ort?
    Nur weil ich Dich nicht berühren kann,
bedeutet das nicht, dass ich nicht bei Dir sein kann.
    Nur weil Du nicht sehen kannst, wie ich lache,
bedeutet das nicht, dass ich nicht mit Dir lachen kann.
    Ich bin in Dir, Ian,
wie das Meer in Matties Augen,
wie die reinen Strahlen der Sonne, die den Himmel erleuchten.
    Mein Tod hat mich nicht aufgeben lassen.
Ich habe nicht das Recht aufgegeben,
Dich zu lieben,
bei Dir zu sein,
Dich aus der Nähe und der Ferne