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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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einem Zeitalter der Geduld gebaut, Schatz«, erklärte Ian und ging langsam weiter. »Als Architektur noch spirituell war.«
    Mattie nickte. Die Stimme ihres Vaters, die sie sonst so liebte, wirkte hier vor dem Mausoleum irgendwie fehl am Platz. Sie lief weiter am Rand des Wasserbeckens entlang und fragte sich, wer sich so etwas ausgedacht haben mochte, beschämt darüber, wie stolz sie auf ihre Bilder war.
    Während Ian ihre Hand festhielt, dachte er darüber nach, dass ihm das Tadsch Mahal in seinem Auftreten und seiner Erscheinung fast menschlich vorkam – nachdenklich und ehrgeizig und originell. Doch anders als irgendein Mensch schien das Mausoleum perfekt zu sein, sowohl in seinem Design als auch in seinen Dimensionen. Wenn man das Tadsch ansah, dachte er, fand man nichts, das man hätte besser machen können.
    Seine Augen glitten weiter von einer Seite des Mausoleums zur anderen. Die untere Hälfte war rechteckig und voller erstaunlicher Bögen. Oben krönte es, natürlich, eine einzelne weiße Kuppel. Ein Minarett, das aussah wie eine riesige Säule, erhob sich an jeder Ecke des Hauptsockels und trug zur Symmetrie bei.
    Ian deutete auf die Minarette. »Wusstest du, Schatz, dass der Architekt diese Türme so gebaut hat, dass sie, falls es jemals zu einem Erdbeben kommt, vom Mausoleum weg fallen werden?«
    »Wow.«
    »Ein verdammtes Genie, schätze ich.«
    Mattie fand, dass sie dem Tadsch Mahal zu nahe kamen. Sie wollte den Blick aus der Ferne noch nicht aufgeben, deshalb führte sie ihren Vater zu einer nahe gelegenen Bank. »Kannst du mir die Geschichte dazu erzählen, Papa?«, fragte sie und setzte sich.
    »Sicher, Ru. Es ist eine wundervolle Geschichte. Ein echter Hammer.«
    »Was ist passiert?«
    Er rückte seinen Hut zurecht, sodass die Krempe seinen Nacken vor der Sonne schützte. »Es gab mal einen Mann namens Shah Jahan. Und er regierte Indien.«
    »Wie lange ist das her?«
    »Oh, ich schätze, es war vor drei- oder vierhundert Jahren«, antwortete Ian und betrachtete ihr Gesicht, während sie zum Tadsch Mahal sah. »Er hatte jede Menge Frauen, aber seine Lieblingsfrau hieß Arjumand. Es heißt, dass die beiden sich sehr liebten und dass sie ihn überallhin begleitete. Sie war seine engste Vertraute.«
    »So wie du und Mami?«
    Er lächelte. »So wie ich und Mami.«
    »Und was ist dann passiert?«
    »Na ja, sie starb im Kindbett, was in jener Zeit sehr häufig vorkam. Und vor ihrem Tod bat sie ihn, ihr einen Wunsch zu erfüllen, und dieser Wunsch war, dass er ihr etwas Wunderschönes bauen und an jedem Hochzeitstag an diesen Ort gehen und eine Kerze für sie anzünden sollte.«
    Mattie bewegte unbewusst ihren Zeigefinger auf ihrem Rock, als würde sie zeichnen. »Und er hat ihr das Tadsch Mahal gebaut?«
    »Genau, Schatz. Er wollte ihr das schönste Gebäude bauen, das die Welt jemals gesehen hatte. Leider entmachtete ihn einer seiner Söhne, als es gerade fertig war, und sperrte ihn für den Rest seines Lebens in ein kleines Zimmer mit nur einem Fenster. Und durch das Fenster konnte er das Tadsch Mahal sehen, wo Arjumand begraben lag. Als er schließlich starb, wurde er neben ihr beerdigt. Und seitdem liegen sie dort zusammen.«
    »Kann ich es malen, Papa? Bevor die ganzen Leute kommen?«
    »Auf jeden Fall. Aber ich will dabei zusehen.«
    »Aye, aye, Captain.«
    Ian sah wieder zum Tadsch Mahal hinüber und dachte daran, dass Shah Jahan mit dem Mausoleum die Schönheit seiner Frau hatte einfangen wollen. Und das war ihm gelungen, es erinnerte Ian auf so viele Weisen an Kate. Er dachte an ihren Brief und daran, dass sie ihn gebeten hatte, sich daran zu erinnern, wie sie Hand in Hand hindurchgegangen waren. Er fragte sich, ob es irgendwie möglich war, dass Kate sie sehen konnte. Konnte die Welt so magisch sein, so gütig? Waren Shah Jahan und Arjumand jemals wieder vereint worden, so wie es sein sehnlichster Wunsch gewesen war?
    Kannst du mich sehen, mein Schatz?, fragte Ian und holte die Muschel, die sie ihm geschenkt hatte, aus seiner Tasche, rieb sie zwischen seinen Fingern. Weißt du, wie weit wir gekommen sind? Ich vermisse dich. Ich habe das Gefühl, auch in einem kleinen Zimmer gefangen zu sein und durch ein einziges Fenster zu sehen. Ich bin gefangen, und ich bin müde, und ich vermisse dich so unglaublich.
    Touristen liefen an ihnen vorbei, Menschen aus allen Teilen der Welt, und fast alle sprachen leise, beeindruckt vom Anblick des Mausoleums. Ian richtete den Blick auf Matties Bild, folgte

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