Ich bin dann mal alt
Wenn sich ein Mensch – bewusst oder nach einem Schicksalsschlag wie dem Tod des Partners – ins Alleinleben zurückzieht, entwickelt er häufig egoistische Grundhaltungen, die weder ihm selbst noch anderen in seinem Umfeld guttun. Denn für Menschen, die allein leben, ändern sich auch die Werte. Singles sind meistens stärker auf sich bezogen als Menschen in Familien. Gleitende Arbeitszeiten, Schichtarbeit, die Auflösung des Sonntags, offene Geschäfte bis Mitternacht – sie stören den Single kaum, weil er beziehungslos ist und sich leicht von den Rhythmen lösen kann, in die eine Gemeinschaft eingebunden ist. Aber für Menschen, die in einem Verbund mit anderen leben, sind solche Entwicklungen gefährlich: Ordnung und Strukturen lösen sich auf, wenn jeder machen kann, was er will.
Die Vereinzelung der Menschen ist eine Folge ihrer Beziehungslosigkeit und ihrer Unfähigkeit, mit Schwierigkeiten fertig zu werden, die in ihrer Gemeinschaft auftreten, vor allem in der Zweierbeziehung. Die Ansprüche an den Partner sind häufig zu hoch, sodass selbst die einfachsten Alltagsprobleme schon Krisen auslösen. Die liegengelassenen Sachen, das Geschirr, das sich in der Küche türmt, der vergessene TÜV-Termin für das Auto – wie oft verursachen doch lächerliche Fehler einen Streit, der in Zornausbrüchen und Beleidigungen endet!
Dabei ist gerade im Alter eine stabile Zweierbeziehung von unschätzbarem Wert. Mann und Frau sind – trotz mancher Krisen und Konflikte – in ihrem langen Leben zusammengewachsen und können sich im Alter aufeinander verlassen. Sie ernten die Früchte eines Generationen übergreifenden Familienlebens, das geprägt ist vom Zusammenhalt und von der Fürsorge untereinander. Großeltern, Vater und Mutter, Kinder und Enkel wuchsen alle in gegenseitigem Vertrauen heran und halfen einander, wenn es Probleme gab. Manche belächeln heute dieses traditionelle Familienmodell, doch gerade im Vergleich zur gegenwärtigen Situation der Vereinzelung alter Menschen hatte es viele Vorteile: von der Betreuung der Babys bis zur Pflege der kranken Oma.
Aber wie kann man diese Beziehungslosigkeit mit ihren schlimmen Folgen für das Leben der Menschen ändern? Leider glauben die meisten Politiker und Wirtschaftsbosse, dass eine Verbesserung nur durch allerlei materialistische und finanzielle Neuerungen möglich ist. Sie übersehen dabei, dass der Mensch ein spirituelles Wesen ist, das für sich allein nicht leben kann. Er braucht Beziehungen, sonst verelendet er in seiner Isolation. Die unverbindlichen Kontakte reichen einfach nicht aus, die da und dort von privater oder staatlicher Seite angeboten werden. Es ist zwar durchaus sinnvoll, den Abend im Kreis einer Kegelrunde oder beim Konzertbesuch zu verbringen, aber diese unverbindlichen Beziehungen führen den Menschen nicht dauerhaft aus seiner seelischen Einsamkeit heraus. Erst wenn sein Tag, seine Woche, sein ganzes Leben eine Struktur bekommt, die ihn trägt, wird er in ein Beziehungsnetz eingebunden, das ihn aus der lähmenden Isolation befreit. Dazu gehört auch, sich mit Leuten zusammenzuraufen, die einem auf die Nerven gehen. Beziehungen sind nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen, sondern ein permanentes Arbeitsfeld!
Vater, Mutter, Geschwister
Die Identität eines Menschen wurzelt in den Erfahrungen, die er als Kind gemacht hat. Die männlichen Eigenschaften werden zum Beispiel vom Vater wesentlich geprägt, die weiblichen Aspekte dagegen erfährt das Kind vor allem durch die Mutter. Wenn in einer »modernen« Familie die Mutter alleinerziehend ist oder durch irgendeinen Schicksalsschlag diese Bezugspersonen fehlen, ist es für das Kind schwer, später seine Identität als Mann oder Frau zu finden. Denn diese Erfahrungen kann man nur im konkreten Leben machen. Oft wird leider das Computer-Spiel oder der Fernsehapparat zum Ersatz für die Realität. Die bedingungslose Liebe der Mutter, das Angenommensein ohne Wenn und Aber, Rückenstärkung und Vertrauen in allen Situationen – solche Gefühle entstehen nicht vor dem Bildschirm, sondern nur mitten im Leben.
Von den Geschwistern lernen wir, dass es im Leben wichtig ist, zu teilen. Wer diese Erfahrung als Kind nicht macht, wird damit auch im Alter ein Problem haben. Wie stark die Kindheit den Menschen prägt, zeigen sogar jüngste Erkenntnisse bei Alzheimer-Patienten: Diese teilnahmslosen Menschen, die scheinbar ihre Umgebung nicht mehr wahrnehmen, zeigen plötzlich Reaktionen, wenn sie Lieder aus
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