Ich bin dann mal offline
haben. Sofort fange ich an zu grübeln: Ist das gut? Bedeutet das, ich bin interessant, beliebt und
»gut vernetzt«? Oder bin ich einfach zu wahllos, wenn es darum geht, Freundschaftsanfragen zu bestätigen? Klicke ich zu oft »akzeptieren«, obwohl ich mich allenfalls noch diffus an die betreffende Person erinnere, mit der ich vor sagen wir zwölf Jahren ein gemeinsames Praktikum absolviert habe?
Wie viele Freunde (Netzwerkfreunde, Onlinebekannte oder wie auch immer) sind normal? Wie viele braucht man? Ab wann wird es albern?
Sind 220 Freunde zu viele?
Robin Dunbar, ein britischer Anthropologe, hat genau darüber ein Buch geschrieben: Es heißt »How Many Friends Does One Person Need?« -Wie viele Freunde braucht der Mensch? Niemand, der sich mit dieser Frage beschäftigt, kommt so richtig an Robin Dunbar vorbei, denn er hat das geschafft, was ich mir als den feuchten Traum eines jeden Wissenschaftlers vorstelle: Eine Zahl wurde nach ihm benannt. Die »Dunbar Number« lautet 150 -und laut seinen Forschungen ist das genau die Anzahl an Menschen, mit denen wir befreundet sein können. Als ich den Freundschaftsforscher in seinem Büro in Liverpool anrufe und ihn frage, wie es sich anfühlt, eine Zahl zu haben, die auf den eigenen Namen getauft wurde, muss er lachen: »Das fühlt sich toll an, keine Frage. Aber ich habe keine Ahnung, wer genau zum ersten Mal den Begriff »Dunbar Number« verwendet hat ich ganz sicher nicht! Zum ersten Mal tauchte sie wohl 2007 bei einem Blogger auf, der vermutlich meine Aufsätze gelesen hatte. Es war die Zeit, als Facebook gerade bekannter wurde und sich plötzlich alle fragten, ob sie zu viele Onlinefreunde hätten.«
Ich erzähle ihm von meinem Selbstversuch und dass ich mir dieselbe Frage gestellt habe. Schließlich liege ich mit der Anzahl meiner Freunde deutlich über der Dunbar-Zahl von 150; Die Ursprünge die-ser Zahl, erzählt mir Dunbar, liegen gut zwanzig Jahre zurück. Der Anthropologe beschäftigte sich damals mit der Größe von Gruppen, in der verschiedene Affenarten zusammenleben. Dabei stellten er und sein Team fest, dass sich die Größe einer Gruppe sich proportional ansteigend zur Größe des sogenannten Neocortex des jeweiligen Affenhirns einer Art verhielt. »Der Neocortex ist grob gesagt der Teil des Gehirns, der für das analytische Denken zuständig ist«, erklärt mir Dunbar, »und er ist bei Menschen größer als bei Affen. Ich rechnete also hoch, was die ideale Gruppengröße für den Menschen ist -und kam auf die 150.« In der Folge suchte Dunbar in der Menschheitsgeschichte nach der Zahl 150 und war selbst überrascht, wie oft er sie fand: Bei über 20 Stammesgesellschaften, von denen Statistiken existieren, liegt die durchschnittliche Größe eines Stammes bei 153. Vom alten Rom bis zur modernen US Army umfassen Kompanien -die kleinste unabhängige Einheit -rund 150
Mann. Nomadenvölker ziehen meist in Gruppen von ungefähr 150 durch die Wüste. Sogar die Kirchengemeinden der Amish spalten sich in zwei neue Gruppen auf, wenn sie eine Größe von ungefähr 150 erreichen. »Wir stießen in allen Epochen und Bereichen darauf«, sagt Dunbar. »Schließlich befragten wir Engländer, wie vielen Menschen sie Weihnachtskarten schicken. Ich weiß nicht, ob das auch in Deutschland ein Ritual ist, aber wir Engländer nehmen unsere Weihnachtskarten sehr ernst.«
Will er mir allen Ernstes weismachen, jeder Engländer würde 150 Weihnachtskarten verschicken?
»Nein, es sind weniger, im Durchschnitt 68. Aber die meisten gehen an Paare und Familien. Und wenn man zählt, wie viele Personen jemand mit seinen Weihnachtskarten erreicht. .. Bingo, 150.«
Ich bin noch nicht gänzlich überzeugt. Warum ist ausgerechnet bei 150 Schluss? Ist unser Gehirn wirklich so konstruiert? »Es ist zum einen unser Gehirn«, erklärt Dunbar geduldig und sicher nicht zum ersten Mal. »Bei 150 stoßen wir an eine Kapazitätsgrenze und können uns nicht mehr genau merken, wer die Leute sind, woher wir sie kennen, geschweige denn, was sie so alles tun, mögen und so weiter. Denn der zweite wichtige Faktor ist Zeit: Damit eine Freund-oder Bekanntschaft eine längere Zeit überdauert, müssen wir immer wieder Zeit miteinander verbringen, uns austauschen, erfahren, was bei dem anderen so los ist.« Aber wird genau das nicht durch Facebook, MySpace oder StudiVZ viel einfacher? Wer zwei Mal im Jahr mit seinen 150 Freunden telefonieren will, muss jeden Tag einen von ihnen anrufen. Durch
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