Ich bin dann mal offline
darum geht, eine Reise zu buchen, tun wir plötzlich alles, um nicht mit einem normalen Menschen sprechen zu müssen. Wir durchforsten Billigflieger-Suchmaschinen, klicken uns durch Bildergalerien von Hotels, vergleichen Preise, jagen Schnäppchen. Der Spaß an -oder die Sucht nach -der Suche, wie ich inzwischen weiß! Nur, um uns dann ein paar Wochen später auf Gran Canaria zu beschweren, dass der Pool auf der Webseite aber viel größer aussah -und zu erfahren, dass unsere Zimmernachbarn es auch diesmal wieder geschafft haben, nur halb so viel zu bezahlen wie wir.
Vielleicht ist es also ein heilsamer Entschluss, dem guten alten Reisebüro doch noch eine Chance zu geben. Ich lasse mich von den gekritzelten Sonderangeboten im Schaufenster und der altersschwachen Yucca-Palme in der Ecke nicht abschrecken und nehme.als einziger Kunde Platz. »Hotel in Bonn?«, fragt mich der freundliche Inhaber, der in einer Trainingsjacke hinter seinem Schreibtisch sitzt. »Inland machen wir gar nicht. Aber wenn's nicht gerade am Wochenende ist: Fahren Sie doch einfach hin. Da finden Sie immer was!« Nicht gerade geschäftstüchtig, denke ich mir, aber vielleicht trotzdem richtig. Vielleicht muss man gar nicht alles haarklein planen und sich das Leben erschweren, indem man stundenlang Preise vergleicht und sich die immer gleichen Formulierungen auf Hotelwebseiten durchliest. Vielleicht muss man sich einfach reinstürzen ins Abenteuer Leben -und sei es in Bonn!
Um nicht nach 30 aufregenden Abenteuersekunden schon wieder gehen zu müssen, verwickle ich den Mann noch in ein Gespräch darüber, ob er das Gefühl hat, das Internet mache sein Geschäft kaputt. »Überhaupt nicht«, sagt er derart gutgelaunt, dass ich gar nicht anders kann, als ihm zu glauben.
»Die Leute denken immer, im Internet wäre alles billiger. Wenn sie dann genau gucken, merken sie, dass es gar nicht stimmt.« Er dreht seinen Computerbildschirm zu mir, in nüchternem Schwarz-Weiß
stehen endlose Zahlen-und Buchstabenketten untereinander. Blitzschnell entschlüsselt er für mich: Ein Flug von Berlin-Tegel über Heathrow nach Boston. »Das sind dieselben Daten und dieselben Preise, die man im Internet auch findet -nicht teurer und nicht billiger. Aber wenn die Sparfüchse das erste Mal einen Flug verpasst haben, weil ihnen die Suchmaschine eine viel zu kurze Umsteigezeit in einem Riesenflughafen wie Heathrow gebucht hat, dann kommen sie doch wieder zu uns.«
Ha, der Kerl ist also doch geschäftstüchtig! Mich jedenfalls hat er so weit, dass ich bei meiner nächsten großen Reise, statt mich stundenlang auf vergeblicher Schnäppchenjagd durchs Internet zu klicken, lieber ihn die Arbeit machen lasse, meine Füße ausstrecke und die alten Werbeplakate der Lufthansa an der Wand bestaune. Aber jetzt muss ich mich erst mal auf die Reise machen. Tag 32 Ab in die Ambulanz
Auf der Zugfahrt ärgere ich mich über einen Mitreisenden im Großraumwagen, der laut in sein Mobiltelefon brüllt, obwohl er sich in einer sogenannten Ruhezone befindet. Das sind jene Wagen, in denen ein freundliches Gesicht auf einem Piktogramm mit einem Finger über den Lippen signalisiert, dass man gefälligst die Klappe zu halten hat. Es wird viel über die Bahn geschimpft, über das Englisch ihrer Schaffner und ihre angebliche Unpünktlichkeit -aber für diese Erfindung gebührt ihr Lob und Dank. Wenn sich nur alle daran halten würden. Ich will den Schreihals gerade bitten, seine herrischen Anweisungen anderswo hinauszuposaunen, aber da ist er auch schon fertig und trollt sich ins Bordrestaurant. Gleichzeitig kommen mir Zweifel. Bin ich wirklich so spießig geworden? So kleingeistig, dass ich mir nicht zu blöd bin, triumphierend auf ein Piktogramm zu deuten, das mich ins Recht setzt? Ich hätte bestimmt nicht triumphierend gedeutet, sondern sachlich, beruhige ich mich. Außerdem erinnere ich mich an eine plausible Begründung, warum es uns so viel mehr nervt, ein Handygespräch mitanhören zu müssen als eine normale Unterhaltung zwischen zwei körperlich anwesenden Menschen: Sobald wir nämlich jemandem beim Telefonieren zuhören, so hat eine Studie der britischen York University ergeben, versucht unser Gehirn automatisch, die fehlende Hälfte des Gesprächs zu ergänzen. Das Abschalten oder Ausblenden - denn meist interessiert es uns ja überhaupt nicht, welchen »Bock der Müller da wieder geschossen hat« -fällt uns deswegen viel schwerer, als wenn sich am Nebentisch zwei Menschen
Weitere Kostenlose Bücher