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Ich bin dann mal offline

Ich bin dann mal offline

Titel: Ich bin dann mal offline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
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Internet-Gemeinschaften können wir mit ein paar Mausklicks auch 500 oder 5000 Freunden unsere Urlaubsbilder zeigen, wenn wir wollen. Dunbar ist vorsichtig: Natürlich helfe jede Technologie, besser in Kontakt zu bleiben. »Bevor es die Post gab, waren Menschen, die in ein anderes Land auswanderten, für immer verschwunden. Durch Briefe und Telefon blieben Familienmitglieder dann in Kontakt, durch E-Mail, Skype und Facebook ist es noch mal einfacher geworden.«
    Wohl wahr, wir machen ein Praktikum in New York, freunden uns dort mit einem Holländer an, der erst einen Job in Kanada annimmt und zwei Jahre später eine Argentinierin heiratet und in Buenos Aires eine Tangoschule aufmacht. Trotzdem bleiben wir immer auf dem Laufenden. »Die Freund-schaft wird dennoch irgendwann einschlafen, wenn Sie es nicht hinbekommen, sich ab und zu von Angesicht zu Angesicht zu treffen«, schränkt Dunbar ein. »Wir haben herausgefunden, dass das Internet den Verfall solcher Freundschaften zwar verlangsamen, aber nicht dauerhaft aufhalten kann.«
    Imechten Leben Zeit miteinander zu verbringen sei essentiell, sonst verblasse die Freundschaft nach und nach, bis sie schließlich von einer neuen gänzlich verdrängt werde. »Das ist ein normaler Prozess«, beruhigt mich Dunbar. »Wir lernen ja auch ständig neue Leute kennen, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken wollen.« Ja ja, und bei 150 ist Schluss; schon kapiert. Vermutlich hat er recht. Ich denke an a11 die alten Bekannten, von denen man »ewig nichts gehört« hat. Über die man dann auf Facebook stolpert, sich gegenseitig inniger Freundschaft versichert· -und dann hört man wieder jahrelang nichts. Eben haargenau, wie man vorher jahrelang nichts gehört hat. Und selbst wenn man ihnen in einem Anfall von Mitteilungswahn und Distanzlosigkeit seine Urlaubsfotos schicken würde, würden sie diese vermutlich ebenso wenig ansehen, wie man umgekehrt auch. Man kommt ja zu nix. Zum Abschluss ,unseres Gesprächs frage ich Dunbar, was ihn bei seinen Freundschaftsforschungen am meisten überrascht hat: »Wie wichtig auch in unserer modernen Gesellschaft die Familie ist«, antwortet er wie aus der DSL-Leitung geschossen. »Freundschaften bröckeln im Lauf der Zeit weg. Familien hingegen halten auch längere Kommunikationspausen aus. Und wer eine größere, weit verzweigte Familie hat, hat weniger Freunde -weil die Familie viele der 150 Plätze besetzt. Familienmitglieder werden aber niemals von neuen Freundschaften verdrängt.«
    Im Briefkasten finde ich später einen Umschlag, dessen Herkunft ich schon an der Handschrift erkennen kann. Mein Vater hat mir einen Artikel aus seiner Tageszeitung ausgeschnitten, in dem es um die Studie geht, in der die 50 Schweizer einen Monat lang auf Facebook verzichtet haben. An den Rand hat er einen kurzen, aber liebevollen Gruß geschrieben. Das hat er schon ein paar Mal gemacht, seit ich offline bin, und es ist eine rührende Geste. Ich werde es nie schaffen, wie die besessenen Engländer 68 Weihnachtskarten an 150 Menschen zu schreiben. Aber ich mache mir .eine geistige Notiz, dass auch wenn ich dieses Jahr nur eine einzige verschicken sollte, der Empfänger mein Vater sein wird.
    Tag 30 Online buchen, offline fluchen
    Übermorgen muss ich für zwei Termine nach Bonn und Mainz. Normalerweise macht es mir Spaß, Reisevorbereitungen zu .treffen -selbst für so kleine Ausflüge. Wie kommt man am besten hin? Wo übernachtet man? Was gibt es zu sehen, und wo gibt es das beste Essen? Alles Dinge, die ich bequem nebenher im Internet nachsehen kann, wenn ich mal ein paar Minuten Langeweile habe. Doch jetzt ist alles deutlich komplizierter: Das Zugticket habe ich schon besorgt, als ich letztes Wochenende Jessica am Bahnhof abgeholt habe, aber als es um die Hotelbuchung geht, bin ich für einen Moment ratlos. Dann beschließe ich, zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ein Reisebüro zu betreten. Glücklicherweise gibt es eines in unserer Straße. Ich habe mich im Vorbeigehen schon öfter gefragt, wie so ein Laden heutzutage noch überleben kann. Denn ich bin ebenso wie viele meiner Mitmenschen schizophren: Wenn wir irgendwo anrufen und eine Tonbandstimme uns auffordert: »Für Tarifinformationen drücken sie 1, für Bestellungen drücken Sie 2 ... «, fahren wir mehr oder weniger sofort aus der Haut. »Man wird doch wohl noch mit einem normalen Menschen sprechen dürfen!«, fordern wir dann abends erregt, wenn wir mit Freunden zusammensitzen. Doch wenn es

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