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Ich bin dann mal offline

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Titel: Ich bin dann mal offline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Koch
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gebrauchte, handelte es sich noch um eine Satire. In einem Artikel, in dem er Eltern beschrieb, die ganz im Banne des Bildschirms ihre Kinder vernachlässigten, wollte er all die neuen Süchte und Störungen parodieren, die oft schnell in die einschlägigen Diagnosehandbüche r24 aufgenommen werden.
    »Ich glaube, eine Internetsucht existiert ebenso wenig, wie es eine Tennissucht oder eine Bingosucht gibt«, gab der Psychiater damals zu Protokoll. »Manche Menschen übertreiben manche Dinge. Es gleich eine Störung zu nennen, ist falsch.« Doch inzwischen hat sich das Bild deutlich verändert: Eine StanfordStudie aus dem Jahr 2006 geht davon aus, dass in den USA bereits jeder achte Erwachsene erste Anzeichen von Internetabhängigkeit zeigt. Zahlreiche Psychotherapeuten weltweit fordern, dass das Internet-Abhängigkeitssyndrom tatsächlich als offizielle Krankheit anerkannt wird, was auch die Mitarbeiter der Mainzer Ambulanz begrüßen würden: »Denn egal ob Sie es Sucht nennen oder Abhängigkeitssyndrom oder Impulskontrollstörung -es ist ein ernstzunehmendes Störungsbild, das für die Betroffenen sehr viel Leid birgt.«
    Ein Argument gegen das Krankheitsbild Internetsucht lautet, dass es sich bei den Störungen um ganz klassische Phänomene wie Spielsucht, Kaufsucht oder Sexsucht handelt, die eben nur onIine ausgelebt werden -aber grundsätzlich unabhängig vom Internet existieren. Andererseits wird auch zunehmend ein Suchtverhalten beobachtet, das ohne das Internet gar nicht möglich wäre, wie zum Beispiel die Sucht nach Chats oder das zwanghafte Sammeln und Archivieren von Informationen, Downloads oder Programmen. Experten unterscheiden deshalb oft zwischen »spezifisch pathologischer Internetnutzung« wie beispielsweise exzessiver Konsum von OnIine-Pornographie oder krankhaftes OnlineWetten und »allgemeiner pathologischer Internetnutzung« -zum Beispiel wenn Menschen tatsachlich abhängig von Facebook, Chats oder E-Mails werden, sich ihr spezifisches Suchtverhalten also ohne das Internet gar nicht entwickeln könnte.
    »Jeder sucht sich die Sucht, die zu ihm passt«, erklärt mir Anke Quack und fügt hinzu: »Da gibt es im Grunde nichts, was es nicht gibt. Wir haben einen Mann behandelt, der ganz harmlos anfing, Ahnenforschung im Internet zu betreiben. Irgendwann konnte er jedoch nicht mehr aufhören, nächtelang Unmengen von Dokumenten herunterzuladen und zu speichern -viel mehr, als er je lesen konnte. Es war ihm aber auch unmöglich, dieses Verhalten einzuschränken.« Während diese krankhafte Sam24 Das DSM (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) für die USA sowie die ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) für Europa sind die wichtigsten offiziellen Klassifikationssysteme für ärztliche Diagnosen. In der Regel kann nur die Behandlung von Krankheiten, die in diesen Werken klassifiziert sind, über Krankenkassen oder Versicherungen abgerechnet werden. Pathologische Internetnutzung oder .. Internetsucht« ist bislang in keinem der beiden Systeme erfasst, was sich jedoch bei der nächsten regelmäßigen Überarbeitung ändern könnte.
    melwut häufig Männer mittleren Alters träfe, finde man eine pathologische Nutzung von InstantMessaging-Chats wiederum etwas häufiger bei Frauen. Die klassische Klientel der Klinik sind jedoch nach wie vor exzessive Computerspieler, eine Gruppe, die zu über 80 Prozent aus jungen Männern besteht. »Onlinerollenspiele wie >World of Warcraft< und Egoshooter wie >Counterstrike< sind hier die Spitzenreiter,« so Quack, »ebenfalls häufiger sind Fälle von Online-Sexsucht und in jüngster Zeit auch nach Glücksspielen im Internet. Gerade Poker ist da momentan ein Modethema unter jüngeren Menschen, unter Umständen auch, weil es so stark beworben wird.«
    Sieben feste Mitarbeiter sind in der 2008 eröffneten Mainzer Ambulanz tätig, bald sollen es acht werden. Dazu kommen mehrere Diplomanden und Praktikanten. »Eine steigende Therapienachfrage sowohl im Bereich der Onlinespielsucht als auch in der allgemeinen pathologischen Internetnutzung ist unbestreitbar«, erklärt mir der Diplom-Psychologe Kai Müller, der als festes Mitglied im Team arbeitet und mehrere Therapiegruppen leitet. Er ist jung, trägt ein dünnes Lederband um den Hals, bequeme Jeans und hat eine verstrubbelte Frisur. Der Mann sieht aus, als könne er im Zweifelsfall auch selbst eine Playstation bedienen, einem Alien den

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