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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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fast zu Tode, als ich meinen Fuß in ihr Heiligstes setze: »¡ Perdón!, Señora, aber gibt’s hier irgendeine Chance auf ein Frühstück? Ich wäre bereit, ziemlich viel dafür zu zahlen!« Die Frau schaut mich missmutig an, denn so ein blödes Angebot hat ihr scheinbar noch nie jemand gemacht: »Klar, hier gibt’s immer Frühstück!«, raunzt sie mich an und deutet lustlos mit der Hand in einen anderen Raum, aus dem Gemurmel zu vernehmen ist. Der Speisesaal! Dieses albergue hat einen richtig netten Speisesaal. Das gab’s ja auf dem ganzen Weg noch nicht!
    Die Tische, an denen einige müde Pilger sitzen, sind liebevoll gedeckt und es duftet nach frisch gebrühtem Kaffee, Spiegeleiern und Buttertoast. Mir laufen Sturzbäche im Mund zusammen und ich bestelle umgehend ein desayuno grande , ein extra großes Morgenmahl! Als ich meinen Rucksack abgestellt und mich an einen der fünf Tische in der Mit te des hellen Raumes gesetzt habe, schaue ich nach rechts und bekomme einen kleinen Schreck. Wer sitzt denn da am Nachbartisch? Meine lauten Zimmernachbarn von gestern, die ich inzwischen »Schnabbel« und »Bock« getauft habe! Ich zucke kurz zusammen und behalte meinen Hut auf. Nicht dass die mich erkennen und womöglich ansprechen!
    Mein Essen wird serviert und ich lasse es mir dennoch munden.
    Ominöserweise haben die zwei ebenfalls hierher gefunden und schlagen sich, wie ich mittlerweile auch, den Magen voll. Das Frühstück ist ohne jede Übertreibung das Beste, was ich bisher auf dem Weg zu mir genommen habe. Ewig diese langweiligen Kekse!
    Gemeinsam mit Schnabbel und Bock am Tisch sitzt eine Österreicherin, die einzige, der ich seit Beginn meiner Reise andauernd irgendwo begegne. Sie ist eine krebsrot gebrannte Bohnenstange, die immer über beide Backen grinst. An ihrem Tirolerhut haften bunte Sticker der Orte, die sie stramm durchwandert hat bzw. an denen sie fix und fertig hängen geblieben ist, denn offensichtlich kommt sie genauso lahm vorwärts wie ich! Alle anderen Pilger scheint der Weg verschwinden zu lassen, aber sie taucht tapfer immer wieder auf. Wieso fällt mir das jetzt erst auf? Mir wird bewusst, dass wir eigentlich seit Wochen nebeneinander herlaufen.
    Egal, wo sie auftaucht, sucht sie unentwegt nach Gesellschaft und zwar immer mit der gleichen Frage: »Gibt’s hier irgendwo a G’schäfterl?« Ich war schon zweimal dran und hab sie freundlich abblitzen lassen.
    Sie ist mir zu intensiv und gleichzeitig zu oberflächlich, deshalb will ich mit ihr keinen näheren Kontakt.
    Die drei Herrschaften unterhalten sich sehr angeregt oder besser gesagt, die beiden Frauen, denn Bock redet nicht viel. Er sitzt mit bloßem verschwitzten Oberkörper irgendwie fies am Tisch und stopft sich einen gefalteten Marmeladentoast in den Mund. Links von mir sitzt ein zusammengewürfeltes junges Häufchen von Amerikanerinnen und einer Deutschen, die mich dann auch prompt erkennt, aufsteht, an meinen Tisch kommt und blöd auf Englisch fragt: »Are you from Germany?« Ich sage: »Ja, hallo.« Die Frau in viel zu kurzen blauen Shorts – oder ist das eine Unterhose? – schaut mich wie versteinert an und setzt sich wortlos wieder zu ihrer Gruppe. Was sollte das jetzt? Entweder ist sie vor lauter Ehrfurcht ganz still geworden oder sie lässt mich aus lauter Verachtung einfach mit meinem dämlichen »Ja, hallo« sitzen.
    Ein Benehmen haben diese Pilger! Meine menschliche Schwäche überkommt mich erneut und so höre ich lieber wieder Schnabbel zu, das ist weitaus amüsanter. Die spielt hier nämlich gerade gute Laune, was das Zeug hält, aber ihre Augen – ich kann mir nicht helfen – sehen verzweifelt aus. Sie tut mir fast Leid, denn sie spricht immer so laut, dass alle gezwungen sind zuzuhören.
    Und so sagt sie zu der Österreicherin: »Aber Wien ist doch ganz wunderbar. Ich verstehe dich nicht. Die Kulturhauptstadt des deutschen Sprachraums. Alles Gute kommt aus Wien... Ludwig Hirsch zum Beispiel.«
    Stimmt, denke ich, der hat beispielsweise ein großartiges Lied zum Thema Selbstmord verfasst mit dem Titel ›Komm, großer schwarzer Vogel‹. Schnabbel, Schnabbel, das lässt tief blicken!
    Die Österreicherin lässt vernehmen: »Den mag ich auch.«
    Schau an!
    Schnabbel redet weiter: »Nicht, Gerd, Wien ist doch toll.«
    Aha! Bock heißt also Gerd!
    Gerd antwortet unbeteiligt: »Wien ist wunderbar.«
    Österreicherin: »Waren Sie schon mal da?«
    Schnabbel: »Nein, da waren wir noch nie.«
    Das schlägt dem Fass

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