Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
genauer ich sie betrachte, umso mehr aussieht wie die böse Schwester von Liv Ullmann. Schnabbel stellt mit einem leicht ironischen Unterton fest: »Wie die sich alle eincremen und pflegen. Die müssen sich aber lieb haben. Guck mal, da werden die Füße gecremt, da der Hals... Die pflegen und lieben sich, was? Hä, Gerd?«
Die Österreicherin stellt nun endlich die alles entscheidende Frage in die Runde: »Gibt’s hier irgendwo a G’schäfterl?« Ich fasse es nicht, sie hat es wieder gesagt. Und sie hat Glück, es gibt eins in einer dieser Lehmhütten, wie Schnabbel zu berichten weiß.
Gerd beobachtet die jungen Damen beim Eincremen ihrer diversen Körperteile noch viel genauer, als seine Frau das tut. Die Österreicherin, Schnabbel und Bock beschließen bei einem weiteren Kaffee, gemeinsam weiterzuwandern.
Tja, und irgendwann geht dann jeder von uns wieder seines Weges.
Auf dem Weg nach Sahagún geht es mir ausgesprochen gut. Die tiefe Krise des Morgens ist überwunden. Mir ist klar, dass meine Wut auf die Dinge und die Dinge selbst nichts miteinander zu tun haben. Eine kleine Änderung in meinem Verhalten und schon erspare ich mir so manchen Wutanfall. Ich frage mich, ob dieser Weg wirklich ein Pfad der Erleuchtung ist, denn ich tappe nach wie vor weitgehend im Dunklen.
Gibt’s hier denn kein G’schäfterl?
Als ich nach einiger Zeit frohgemuten Wanderns eine romantisch süddeutsch anmutende Hügelkulisse durchstreife, grüßt mich plötzlich in der Ferne ein bunter Pilgerhaufen. Lautstark und überschwänglich wird mir von der Weggabelung »huhu« und »hallo« entgegengerufen. Die sind betrunken oder haben einen Sonnenstich... oder beides, schießt es mir durch den Kopf. Leicht irritiert winke ich zurück und nähere mich lächelnd der Horde, bis ich erkenne, wer da an einer Viehtränke unter einer im Wind rauschenden Weide auf mich wartet: Schnabbel, Gerd, die Österreicherin und die Deutsche in blauen Unterhosen mit ihrer eingecremten amerikanischen Gang!
Bei meiner Ankunft in der Fankurve grüße ich knapp und freundlich genau so, wie ich es vorher im Speisesaal auch getan habe. So, als wären wir seit Jahrzehnten die dicksten Freunde, werde ich von der kurzhosigen Deutschen zum Picknick eingeladen. Aha, nun hat Miss Tanga also allen brühwarm erzählt, wer ich bin, was ich mache und um wen es sich bei mir genau handelt; daher der allgemeine Gefühlsausbruch! Na ja, das hätte ich an ihrer Stelle mit Sicherheit auch getan.
In Ermangelung einer Marienerscheinung auf dem Pilgerweg werde ich jetzt zur Sensation erkoren. Selbst die Amerikanerinnen sind so aufgekratzt, als stünde nicht ich in meinem abgerissenen Jeanshemd, sondern George Clooney in Abendgarderobe vor ihnen, und finden ihre deutsche Pilgerbekanntschaft nun auch viel interessanter, denn die ist jetzt ihrem aufdringlichen Verhalten nach zu urteilen in der Wallfahrer-Hackordnung endgültig zum Alphatier aufgestiegen. Sie hat mich schließlich entdeckt, also gehört die Beute ihr! Ich verspüre jedoch nicht die geringste Lust, hier heute den Etappenknaller zu mimen. Das sollen mal schön Gerd und Schnabbel machen; die können das auch viel besser.
Unter mir auf dem sandigen Feldweg berühren sich Schnabbels und mein Schatten und bilden einen unförmigen Klumpen! Wie entsetzlich! Das Ehepaar starrt mich an, als erwarteten sie ein Wunder von mir. Das könnte ich ihnen zwar bieten, indem ich flott mein Tagebuch zücke und ihnen wie der Nikolaus ihre loriotreifen Dialoge vorlese; aber das wäre ja richtig mies von mir!
Freunde, Freunde. So kommen wir aber alle nicht zur Erleuchtung.
Natürlich könnte ich jetzt hier in meinen staubigen Wanderschuhen auf dem Feldweg an der Viehtränke in meinem Ruhm baden... aber das wäre nichts weiter als lächerlich.
Es muss einem gleichgültig sein, wer da vor einem steht! Das bedeutet ja nicht gleich, schroff und abweisend zu werden, aber so zu tun, als würde man gerade den Höhepunkt seines bisherigen Lebens erreichen, ist genauso unverhältnismäßig. Auf keinen Fall breche ich jetzt hier in wilde Heiterkeit aus.
Also bedanke ich mich freundlich für die Einladung, lüpfe meinen speckigen Hut und gehe weiter. Die Ansammlung hinter mir verstummt in ein beleidigtes Schweigekonzert. Dabei habe ich gar nichts gemacht. Ich war gleich bleibend freundlich und habe weder Hoffnungen noch Erwartungen geschürt. Schade! Den Kommentar von Schnabbel zu meinem Abgang von der Bühne hätte ich zu
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