Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
Vorstellung von Gott oder von der einzigen Wahrheit, wie immer du es auch nennen willst, entwickelt.
Ich glaube, viele Abermillionen Jahre lang gab es nur schweres schwarzes Nichts und durch den Prozess des ewigen Ausharrens wurde ›Es‹ wie nach einem langen Schlaf in einem lichten Moment wach. So, wie sich ein stinkender Misthaufen irgendwann selbst entzündet und dann lichterloh brennt. Ein Lichtfunke wurde geboren!
Dieser Funke kommt wie ein Neugeborenes mit einem Aufschrei des Erschreckens und der Wonne in dieses Nichts und breitet sich unendlich weit aus und erdenkt, erfindet, erlebt und erprobt alles; wie ein kleines Kind.
Dieses Licht verfolgt nur ein eingeborenes helles Ziel – nämlich vollkommen glücklich zu sein.
Dafür macht es allerlei Experimente in allen Dimensionen. Wir sind Teile dieses sich erweiternden Lichts; allerdings schon so weit entfernt vom Ursprung, dass wir uns an die Quelle nicht mehr erinnern können, sondern nur vage an den Auftrag: ›Werde vollkommen glücklich!‹
Dieser Funke hat sich bald das Leid ausgedacht, denn nur Leid führt zu wahrem Bewusstsein. Das Licht will nicht nur unbewusst glücklich sein, wie ein kleines Kind im Spiel, sondern bewusst glücklich, wie nur ein Leidgeprüfter es sein kann.
Ein Sommertag ist doch doppelt so schön, wenn man eine schwere Operation überstanden hat. Nach einer extremen Erfahrung ist der Sonnentag nicht nur schön, er ist bewusst wunderbar und heilig.
Wenn also dieses Licht sich unendlich ausgedehnt und alles erfüllt hat, erlischt es wieder, es schläft wieder ein. Vollkommenes Glück hält ja bekanntlich nicht lange. Es stirbt, weil diese letzte Erfahrung der unendlichen bewussten Ausdehnung einmalig ist. Es genießt in seinem allerletzten Moment die Wonne des bewussten Glücks und vergisst alles erfahrene Leid. ›Es‹ hat zu sich selbst gefunden und ist vollkommene Glückseligkeit. Und dann schläft es ein, um sich irgendwann aus eigener Kraft neu zu erwecken.«
»Du meinst Leid ist der Schlüssel zum Glück?«, frage ich verwirrt.
»Exactly!... Alles dient nur einem Ziel: Gott und damit mir selbst Freude zu bereiten. Du darfst jetzt lachen, ich weiß, das ist kindlich gedacht. Aber in der Bibel steht doch: Werdet wie die Kinder!«
Ich sage erst mal nichts. Finde mich aber irgendwie in dieser Idee wieder. Und da Gott ja alle Gegensätze in sich vereint, muss er logisch gedacht ja tatsächlich auch irgendwann einmal tot sein oder schlafen, oder täusche ich mich da... Aber wir rechnen ja unsere Schlafstunden auch zur Lebenszeit und ziehen sie nicht etwa davon ab.
Die Pilgerroute zum Apostelgrab
Ich sage Lara, dass sie mir da auf der Hälfte des Weges eine ganz schön harte Nuss zum Knacken gegeben habe mit der Idee vom Leid als dem Schlüssel zur Glückseligkeit. Ich frage sie, ob sie der Ansicht sei, man könne das Leid deutlich besser ertragen oder vielleicht sogar verhindern, indem man sich in Gewahrsein schult. Sie grinst wieder: »Yes! Look! Das Dunkel kann komplett ohne Licht sein. Wenn du in einem Raum ohne Fenster und Elektrizität bist, siehst du nichts. Aber das Licht kann nie ohne das Dunkel sein. Guck, es ist ein strahlend heller Sonnentag, aber unsere dunklen Schatten laufen immer mit, dessen müssen wir uns bewusst werden. Nur auf die Lichtquelle kann nie der geringste Schatten fallen!« O je, hoffentlich kommt Schnabbel nicht gleich um die Ecke!
Lara und ich laufen friedlich schweigend nebeneinander wie ein altes Ehepaar nach Sahagún. Lara will in der hoffnungslos überfüllten Pilgerherberge übernachten. Ich rate ihr nicht davon ab, denn sie hat sich offensichtlich mit den miesen Zuständen in den Häusern arrangiert und akzeptiert sie ohne Murren. So weit bin ich nicht. Ich brauche ein Einzelzimmer mit Dusche und so trennen sich unsere Wege, nachdem wir unsere Pilgerpässe im refugio haben abstempeln lassen; allerdings tauschen wir vorher unsere Telefonnummern und Adressen aus.
Mitten in der Stadt gibt es ein günstiges romantisches Hotel. Im Entree führt mir ein buntes, mittelalterlich anmutendes Mosaik des Camino Francés noch einmal deutlich vor Augen, wie viele Kilometer ich noch vor mir habe. Dieses Hotel wird für heute mein Zuhause. Mittlerweile bin ich auch immer seltener der einzige Pilger, der in Hotels übernachtet.
Nach all den staubigen Dörfern beeindruckt mich Sahagún sehr. In der Stadt gibt es großartige Bauwerke aus der Römerzeit bis hin zum Barock. Einige
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