Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
Er blickte Sam fragend an.
»Sam Burke, FBI «, sagte Sam.
»Tatsächlich?«, fragte der Junge, dem das Grün hinter den Ohren herauswuchs.
Sam zückte seinen neuen Ausweis, den er erst vor zwei Wochen bekommen hatte. Im Gegensatz zu seinem alten glänzte die Plakette so frisch wie bei einem Rekruten von der Akademie. Er hielt dem Mann den Ausweis vor die Nase und ging ins Haus. »Nichts für ungut«, murmelte er im Vorbeigehen.
Sie hatten keine Schutzanzüge angelegt, noch behandelten sie Amelias Haus wie einen Tatort, für den Sam es hielt. Shirin lief hinter ihm her, ihren Laptop unter dem Arm, und es entging Sam nicht, dass der Grünspan ihr auf den Hijab starrte. Beides war Sam egal. Amelia war freiwillig mit Tom gegangen, wenn sie nicht tatsächlich auf Reisen war. Er brauchte sie nicht zu entführen, er verführte sie. Hatte er Amelia mitgenommen? Für sein großes Finale? »Du hast diesmal mehr Zeit, Sam«, erinnerte er sich an Toms Worte. Die große Frage war nur, wie viel mehr Zeit.
Sam betrachtete die Wohnung zwischen den Polizisten, die überall herumstanden und sich über das Wetter unterhielten, wichtig auf Klemmbrettern herumkritzelten oder etwas ins Mikrofon blökten, während sie sich an ihren Pistolenholstern festhielten. Amelia war keine Romantikerin gewesen wie die anderen. Ihr kleines Haus, das gerade einmal aus vier Zimmern bestand, enthielt allerhand Krimskrams, den sie von Reisen mitgebracht oder am Strand gesammelt hatte. In der Ecke des Wohnzimmers, vor dem großen Fenster, stand eine Staffelei. Die Bilder an den Wänden zeugten von großem Ausdruckswillen und wenig Talent. Und doch kribbelten die Gelenke in Sams Fingern. Warum? Nichts ähnelte den anderen Tatorten. Bis auf eine gewisse Ähnlichkeit unter den Frauen. Amelia musste Betty sein. Alpha und Omega. Und doch musste es Gemeinsamkeiten geben. Keinem Täter gelang es, alle seine Gewohnheiten zu verbergen. Es musste etwas Gleiches in all den Unterschieden liegen.
Sam rief sich die Bilder der letzten Tatorte vor sein geistiges Auge: die Wohnung der Lehrerin in Manhattan. Die DVD -Sammlung. Die Kerzen. Die Vorhänge. Das Schlafzimmer. Der Kleiderschrank. Tamara Tanner. Ihr Nachttisch. Der Wecker, ein Buch – ›Fifty Shades of Grey‹, was sonst? –, das Sexspielzeug, die Ohrstöpsel. Die Spange im Haar. Nichts war gleich. Ein Sessel in der Ecke des Wohnzimmers, ihre Couch, eine Lampe. Überall rechte Winkel, gleiche Abstände. War das die Gemeinsamkeit? Musste er all die Gegenstände so zurechtrücken, dass es seiner inneren Ordnung entsprach?
Tom ist zwanghaft, dämmerte es Sam.
»Er ist zwanghaft«, sagte Sam zu Shirin und trat vor die Staffelei. Sie stand in einem perfekten Fünfundvierzig-Grad-Winkel zu beiden Wänden. Die Pinsel waren der Größe nach geordnet. Das passte nicht zu Amelia. Obwohl sie unterschiedlich lang waren, lagen sie genau auf gleicher Höhe mit dem Ende ihrer Borsten. Das war kein Zufall.
Der Nachttisch in New York. Das Buch. Genau neben dem Wecker. Kante auf Kante. Die Kerzen auf dem Fernseher. Gleich verteilt wie mit einem Lineal. Zentriert. Damit alles seine Ordnung hatte. Der Dirigent kann nicht anders. Er muss es perfekt machen. Erst hier, bei Amelia, konnte man es erkennen. In diesem lebenslustigen Chaos herrschte die Ordnung eines kranken Geistes. Sams Finger kribbelten heftig.
»Komm, Shirin, wir fahren in die Oyster Bar.«
»Was ist los?«, fragte sie draußen. Ihr mintgrüner Hijab flatterte wie eine Flagge im Wind.
»Er hat sie«, sagte Sam.
»Sind Sie sich sicher?«
Sam nickte. »Ich erkläre es Ihnen im Auto«, versprach er.
Die Oyster Bar lag nur einen Steinwurf von Amelia Raynes Haus entfernt inmitten der historischen Altstadt an der Hauptstraße. Sam nahm die Holzstufen im Laufschritt und riss die Tür auf. Sie fanden sich in einem einfachen, aber durchaus schmucken Empfangsraum wieder. Nach links gelangte man in den komplett aus Holz gebauten Gastraum, nach rechts in die moderne Bar, an der Amelia laut Aussage des Deputys viermal die Woche gearbeitet hatte.
»Hallo?«, rief Sam.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine mürrische Stimme aus dem Barbereich.
Sam und Shirin traten an den Edelstahltresen. Außer ihnen waren noch drei Männer anwesend, die offenbar aus dem Ort stammten und sich ein frühabendliches Bier schmecken ließen. Vermutlich sprachen sie über den Polizeieinsatz, der mittlerweile in der Stadt das Thema des Tages war.
»Er ist da unten«, sagte ein
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