Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
erwarten war, erntete er Kopfschütteln. Natürlich nicht! Wie hätte er denken können, dass sie sich von Hollywood verführen lassen würden?
»Doch, meine Damen und Herren angehende forensische Psychologen, die ihr noch einen weiten Weg vor euch habt. Doch, das sind sie.«
Weiter im Text, Sam.
»Sie sind durchaus realistisch, die meisten von ihnen basieren auf Vorbildern, die es tatsächlich gab. Aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass Sie in Ihrer Laufbahn auf einen solchen Täter treffen werden. Denn glücklicherweise sind die allermeisten Serienmörder eher unterdurchschnittlich intelligent, wie Sie gleich an Mr Snow live studieren können. Glücklicherweise für uns, weil wir sie dadurch schnappen können. Den Opfern dürfte es ja gleichgültig sein.«
Der Galgenhumor, der unter Ermittlern sehr verbreitet ist, brachte ihm ein paar vorsichtige Lacher ein, die ersten, seit sie das Gefängnis betreten hatten. Die klinische Atmosphäre, die Wachleute mit den großen Tasern und die zuschlagenden Gitter ließen keinen Platz für Heiterkeit.
Snow hatte einen Intelligenzquotienten von 82. Er hatte seinen Opfern die Organe entnommen, weil er glaubte, ein Ersatzteillager für sich anlegen zu müssen. Dass er niemals einen Arzt finden würde, der ihm seine Organe einpflanzen würde, oder die Frage nach der passenden Blutgruppe war ihm nie in den Sinn gekommen. Oder dass eine Leber kaum in einer einfachen Essiglösung erhalten werden könnte. Intelligente Serienmörder sind selten, wiederholte Sam noch einmal – nur für sich selbst und an den Brief gerichtet. Der absolute Ausnahmefall. Die Dunkelziffer. Das einzig Unrealistische an Hannibal Lecter war, dass der Film mit ihm hinter Gittern beginnt. Hätte es Hannibal Lecter wirklich gegeben, den mordenden Psychologieprofessor, das Genie im Teufelsgewand: Es wäre nicht sehr realistisch, dass das FBI ihn je gefasst hätte. Zu jeder Zeit laufen zwischen vierzig und achtzig Serienmörder frei herum, denen es gelungen ist, ihre Mordserien erfolgreich zu verschleiern. Psychologie besteht zu 60 Prozent aus Statistik. Das ist die Realität. Die Ausnahme, aber auch die gehört zur Realität. Noch nicht für die Studenten im zweiten Jahr, aber für dich, Sam. »Nicht nur mein eigener Tod ist unausweichlich, sondern auch der vieler anderer, die meinen Weg kreuzen.« Er spürte Stiche im Magen. Der Brief. Die ganz seltene Ausnahme?
Hinter sich hörte er ein scharrendes Geräusch aus dem Lautsprecher, der das Verhör mit Snow übertragen sollte. Er kam. Showtime. Vergiss den Brief, Sam. Das ist bestimmt nur ein Spinner, der deinen Namen letztes Jahr in den Zeitungen gelesen hat. Dunkelziffer. Und wenn nicht? Später, Sam. Seine Studenten hatten jetzt nur noch Augen für das Spektakel, das auf der anderen Seite der Scheibe beginnen sollte. Ein Wärter öffnete die Tür, und Snows massige Gestalt betrat den Raum. Er blickte gleichgültig auf die Fesseln zwischen seinen Füßen. Snow würde die Studenten nicht enttäuschen. Der Wärter, der den Gefangenen durchaus sanft auf den Stuhl drückte, nickte dem Spiegel zu. Die meisten der Angestellten im Hochsicherheitstrakt kannten Sam, er hatte für das FBI die Anklage gegen Karel Snow mit vorbereitet. Sam erwiderte den Gruß, obwohl ihn der Beamte natürlich nicht sehen konnte. Ein zweiter Wärter fixierte Snows Fußfesseln am Stuhl. Eine weitere Kette führte zwischen seinen Beinen nach oben und war mit den Handschellen verbunden. Sie war so kurz, dass er seine Arme maximal bis zum Herzen heben konnte. Niemand ging mit Snow ein Risiko ein. Karel ließ alles über sich ergehen. Karel wusste, dass er die Hauptrolle spielte. Snow war immer bereit für die Show.
»Eines noch«, mahnte Sam die gereckten Hälse. Dreißig Augenpaare konzentrierten sich wieder auf ihn. »Egal, wie freundlich er aussieht, egal, wie wenig clever er sein mag, egal, wie überlegen Sie sich ihm gegenüber fühlen hinter der Scheibe. Vergessen Sie niemals: Karel Snow ist ein sehr gefährlicher Mann.«
—
Als ihr Tross über den Parkplatz der Sing Sing Correctional Facility lief, schwiegen die Studenten. Zu frisch war der Eindruck des Mannes, der aussah wie ein Tankwart oder der Hausmeister einer Highschool, der seelenruhig erklärte, wie er versucht hatte, ein Organ, das er nicht mehr brauchte, weil er ein schöneres gefunden hatte, auf einem Flohmarkt zu verkaufen. Der dabei ohne jede Regung sprach, mit wulstigen Lippen, keuchend, wegen seiner 140
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