Ich bin dein Mörder: Thriller (Sam Burke und Klara Swell) (German Edition)
Stiftungssatzung, gepaart mit einem längeren Telefonat zwischen Sam und Thibault Stein, hatte er sich schließlich ihrem Wunsch gebeugt. Und Klara glaubte ihm, dass er es ehrlich meinte. Es war die Erkenntnis des Psychologen, dass eine Ablehnung sie nur auseinanderbringen konnte, möglicherweise sogar musste. Er tat es für sie, und sie wusste das zu schätzen. Und trotzdem missbrauchte sie sein Vertrauen, keine Stunde nachdem sie sich verabschiedet hatten, dachte Klara, als sie die dunkle, baumgesäumte Straße hinunterlief. Aber du hast mir nicht erzählt, was dich beschäftigt, Sam, spann sie ihre Logikkette weiter. Du hast mir nicht erzählt, was dich bedrückt. Denn dass dich etwas bedrückt, das spüre ich. Sie erreichte das schmale Hochhaus, in dem die Psychologische Fakultät untergebracht war. Die Fenster waren klein und lagen hauptsächlich zur Seite, was für diejenigen, die hier arbeiten mussten, weit unvorteilhafter war als für Klara Swell. Du hast einen Fall, Sam, und ich weiß es. Vielleicht ignorierst du es noch und redest dir ein, dass es das Problem von jemand anderem ist, aber du hast einen Serienmörder, Sam.
Klara umkreiste das Gebäude dreimal, aber es war kein Wachdienst zu sehen. Eine psychologische Fakultät galt eben nicht als Hochsicherheitsbereich. Vermutlich fuhr die Campuspolizei Streife, was bedeutete, dass etwa einmal in der Stunde jemand mit einem Wagen vorbeifahren würde. Klara hatte nicht vor, sich bemerken zu lassen, und hatte sich deshalb schon an einer Straßenecke in Boston umgezogen. Sie trug jetzt schwarze Turnschuhe und dunkle, enge Joggingklamotten ohne Reflektoren, für den Fall, dass sie erwischt wurde. Dazu eine schwarze Mütze, die ihre hellen Haare verdeckte. Ein letztes Mal umrundete sie das Gebäude, lief am Haupteingang mit seinen braunen Drehtüren vorbei, die ausschließlich von innen geöffnet werden konnten. An einer kleineren Servicetür, die der Architekt dankenswerterweise ziemlich versteckt in die Fassade eingefügt hatte, zog sie ihre Mütze noch ein wenig tiefer ins Gesicht und setzte den Pick ans Schloss. Architekten waren die besten Freunde von Einbrechern, denn sie verzichteten oftmals zugunsten der Optik auf ein Plus an Sicherheit. Die nächstbesten Freunde der Einbrecher waren die Hersteller von Schlössern, die in regelmäßigen Abständen neue Produkte verkaufen wollten und deshalb jährlich neue Modelle auf den Markt warfen. Und so war es natürlich kein Schloss der neuesten Generation, die meist nur mit erheblichem Aufwand zu knacken waren, sondern eines aus den Neunzigerjahren, das längst als überholt galt und für das Klara keine zwei Minuten benötigte.
In der Lobby, in der neben einem großen Tresen geduckte knallrote Sitzgruppen mit weißen eckigen Tischen standen, auf denen garantiert niemals jemand saß, sowie eine Empore mit einem putzig gezackten Geländer, orientierte sich Klara Richtung Treppenhaus. Weitere zehn Minuten, sechs Stockwerke und zwei weitere nicht eben hochwertige Schlösser später stand sie in Sams Vorzimmer. Eine Taschenlampe, wie sie Einbrecher in Filmen immer tragen mussten, damit man sie sah, verwendete sie natürlich nicht. Bis auf Höhlen oder Kellerräume bot nahezu jede Umgebung genügend natürliches Licht, in dem man sich auch nachts ohne künstliches Leuchtmittel orientieren konnte. Und Klara sah in der Dunkelheit ausgezeichnet. Ganz in ihrem Element öffnete sie Schubladen, ihre Finger tanzten über die Hängeregister. In ihrer langen Undercoverkarriere beim FBI hatte sie einen siebten Sinn für das entwickelt, was Menschen verbergen wollen. In Sams Schreibtisch fand sie nichts. Ihr nächstes Ziel war die Schrankwand. Sie fand weitere Hängeregister, hinter einer der Türen sogar einen Anzug, zwei Hemden, Schuhe und frische Socken. Du änderst dich nie, Sam, dachte Klara beim Gedanken an seine Kleiderauswahl, dem stets gepackten Koffer und dem Feldbett in seinem ehemaligen Büro in Quantico. So wie du, Klara, dachte sie danach, und das schlechte Gewissen ließ sie für ein paar Sekunden innehalten. Was machst du hier, Klara?, fragte sie sich. Du spionierst deinen eigenen Partner aus, stellte sie fest. Weil er dich nicht einweiht. Weil er seinen Fall für sich haben will. Und obwohl sie wusste, dass er sie nur beschützen wollte, wusste sie auch, dass es ungerecht ihr gegenüber war. Ihr blieb noch eine Schranktür, hinter der sie ursprünglich sein Klamottenlager vermutet hatte. Eine raumhohe Einzeltür
Weitere Kostenlose Bücher