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Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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machen, oder man bekommt mit etwas Glück die Chance, sich zu spezialisieren. Wobei gerade Glück vielleicht am wenigsten damit zu tun hat. Vor allem muss man Wörter wie
Freizeit
oder
Wochenende
in ganz, ganz kleinen Buchstaben schreiben, wenn man mit Mitte zwanzig noch immer auf eine Kripo-Laufbahn scharf ist.
    Bei mir ist das wohl mehr oder weniger der Fall gewesen. Dennis kannte ich damals noch nicht, und in einer Millionenstadt wie Hamburg läuft es anders als irgendwo in Bad Beelzebub, wo nur alle Jubeljahre mal ein Kapitalverbrechen zu klären ist. Hier bei uns hat man die großen Fälle ständig vor der Nase – und wenn man entsprechend strukturiert ist, wird’s einem irgendwann einfach zu blöd, dass man da nicht richtig mitspielen darf. Es sei denn … Ganz genau.
    Man steigt selbst mit ein.
    Meinen ersten Tag auf unserem Polizeikommissariat, dem PK Königstraße, dem – quasi als permanenter Sonderkommission – regelmäßig die kniffligsten Fälle im gesamten Stadtgebiet zugeschoben wurden, werde ich wohl nie vergessen. Wahrscheinlich geht das jedem Neuling so. Wir haben alle diese gigantischen Vorstellungen, diesen mörderischen Respekt vor der echten Sherlock-Holmes-mäßigen Detektivarbeit, die bei den großen Jungs und Mädels so abgeht. Es dauert eine ganze Weile, bis einem klar wird, dass bei der Kripo mit demselben Wasser gekocht wird wie in jeder anderen Bullenküche auch. Und die Kollegen, die sich ihre Stühle schon ein paar Jahre warm gesessen haben, sorgen natürlich dafür, dass das möglichst lange so bleibt.
    Kerstin Ebert war da anders.
    Als ich zu Jörg Albrechts Team stieß, hat sie aufgeatmet, endlich nicht mehr allein zu sein unter den Kerlen, das hat sie mir später mehr als einmal erzählt. Wirklich, es macht einen Unterschied, ob nur eine einzige oder aber zwei Frauen zur Mannschaft gehören. Kerle bleiben Kerle. Das ändert sich nicht, wenn sie eine Marke tragen.
    Kerstin selbst war jünger gewesen als ich, als sie auf dem Kommissariat anheuerte. Außerdem muss das zu diesem Zeitpunkt eine ziemliche Ausnahmesituation gewesen sein auf dem Revier: Die ganze Stadt auf der Jagd nach dem Traumfänger, und das PK mittendrin. Heftiger kann man wohl nicht lernen, was es heißt, bei der Kripo zu arbeiten. Kerstin meinte mal, hinterher sei ihr die Arbeit vorgekommen wie der reinste Schulausflug. Hinterher, als Freiligrath endlich in Haft saß und Horst Wolfram im Sanatorium und Albrecht den Laden übernommen hatte.
    Wobei auch Schulausflüge ganz schön hart sein können. Ich zumindest musste am Anfang ganz schön die Zähne zusammenbeißen – und ich frage mich bis heute, ob ich nicht ganz schnell das Handtuch geworfen hätte, wäre Kerstin Ebert nicht gewesen.
    Kerstin Ebert, die nun, als sich der verregnete Oktobernachmittag in einen verregneten Oktoberabend verwandelte, seit mehr als vier Stunden verschwunden war.
    Als Allererstes hatten wir die Pressemeute weggejagt. Platzverweise, serienmäßig. Irgendjemand würde dafür bluten, das war mir klar, und im Zweifelsfall würde ich das sein. Insbesondere, wenn bei der Aktion am Ende nichts herauskam. Aber wie sollten wir eine Suche durchführen in einem Gebiet, in dem sich Kanal Neun und Kanal Sieben gegenseitig auf die Füße traten?
    Mit einem Fluch steckte ich das Handy weg. Nachdem ich zwanzig Minuten lang vergeblich versucht hatte, Albrecht zu erreichen, hatte ich die Sachlage schließlich direkt ans Präsidium durchgegeben. Die Pressekonferenz war mir mehr als egal.
    Ich wusste, wie Jörg Albrecht reagieren würde.
    Und ich hätte ein, zwei nicht unwesentliche Körperteile gegeben, wäre er in diesem Moment schon hier gewesen.
    Oliver Ebert stützte sich bei jedem Schritt an einem Jägerzaun ab, während er auf mich zukam. Ich stand an einer Einmündung ungefähr im Zentrum des labyrinthartigen Wohngebiets, in dem die Eberts und die Hartungs wohnten. Die Uniformierten hatten die Strecke, die Kerstin genommen haben musste, bereits abgesucht. Inzwischen waren sie dabei, an den Haustüren zu klingeln und Fragen zu stellen. Wie ich die Gegend einschätzte, waren die Häuser voll mit Müttern, die in Teilzeit arbeiteten. Irgendjemand
musste
Kerstin gesehen haben, nachdem sie das Haus verlassen hatte.
    «Oliver», murmelte ich und ging ihm entgegen.
    Oliver Ebert war letztes Jahr vierzig geworden und damit genauso alt wie Dennis. Entsprechend waren Kerstins und mein eigener Göttergatte auch zeitgleich in den zweiten Frühling

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