Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin der Herr deiner Angst

Ich bin der Herr deiner Angst

Titel: Ich bin der Herr deiner Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
Vom Netzwerk:
ist passiert, bis du begreifst, was hier gespielt wird.
    Wie ein Mantra hatte ich den Satz wiederholt, im Taxi auf dem Weg nach St. Georg, wo ich meinen Nissan abgestellt hatte. Joachim Merz hatte gestern Abend darauf bestanden, dass ich nach zweieinhalb Gläsern Holsten unmöglich noch ans Steuer konnte.
    Wir hatten seinen Wagen genommen, den Jaguar, und wir hatten den Rest des Abends in seiner Wohnung verbracht. Den Rest der Nacht, bis zu dem unbestimmten Zeitpunkt, an dem er aufgestanden war, um seine Joggingrunde zu drehen.
    Nichts davon ist passiert.
    Wann konnte das frühestens gewesen sein, wenn ich ihm einmal unterstellte, dass er noch etwas mehr vorgehabt hatte, als nur den Kreislauf in Schwung zu bringen: halb zwei? Zwei? Bei dem, was wir beide getrieben hatten, sah man nicht auf die Uhr. Da er mir nach einer Weile die Augen verbunden hatte, wäre mir das auch kaum möglich gewesen.
Nichts davon ist passiert.
Doch es musste spät gewesen sein, weit nach Mitternacht, und auf jeden Fall etliche Stunden nachdem er –
nichts davon ist passiert
 – Stahmke eine Nachricht geschickt hatte, die angeblich von ihrem Kontaktmann stammte, und sie in die Pampa an der Alsterquelle gejagt hatte.
    Selbst wenn er mir irgendwelche Pillen in den Dom Perignon gemischt hatte. Selbst wenn ich mich täuschte und ich schon um eins geschlafen hatte. Stahmke hätte mindestens drei Stunden Vorsprung gehabt.
    Drei Stunden in der Pampa bei Henstedt-Ulzburg, wo – nichts war. Kein neues Opfer. Kein sensationeller Aufmacher für die Nachtausgabe. Stahmke hatte keinen Grund gehabt, auch nur eine Minute dort zu bleiben, nachdem sie festgestellt hatte, dass sich offenbar jemand einen Scherz mit ihr erlaubte. Wenn der Täter jedes Mal einen anderen Anschluss benutzte, konnte das im Übrigen jeder gewesen sein. Jeder, der ihre Nummer kannte. Von wem die Nachricht wirklich stammte, von Joachim Merz
– nichts davon ist passiert –,
das wusste nur ich.
    Ich.
    Dieselbe Frau, die ihm ein Alibi geben konnte.
    Die ermittelnde Beamtin.
    Wie ging Jörg Albrechts Spruch, der von Sokrates?
    Wenn du weißt, dass du nichts weißt, weißt du schon eine ganze Menge?
    Ich wusste viel zu viel.
    Ich musste die vergangene Nacht ausblenden. Sie vergessen. Das war die einzige Chance. Ein Ermittler durfte sich niemals, unter gar keinen Umständen, emotional auf einen Fall einlassen.
    Natürlich geschah das trotzdem ständig.
    Sich vom Hauptverdächtigen ans Bett fesseln zu lassen stand trotzdem auf einem anderen Blatt.
    Aber er war nicht verdächtig! Ich war bei ihm gewesen!
    Als ich eingeschlafen war, musste Stahmke längst tot gewesen sein!
    Doch seine Joggingschuhe hatten ausgesehen wie …
    Das war lächerlich.
    Vergiss es! Ganz gleich, was in den nächsten zwanzig Minuten auf dich zukommt.
    Nichts davon ist passiert!
    Der Nissan hatte brav auf mich gewartet. Bei Tageslicht sah die Gegend am Rand von St. Georg gar nicht so finster aus – aber vielleicht wurde einem das auch erst bewusst, wenn man im Begriff war, sich unmittelbar an den Tatort eines Kapitalverbrechens zu begeben.
    Der Verkehr in der Stadt war von der ekelhaftesten Sorte. Als ich bei Quickborn die A 7 verließ und dem Navi zur Straße
An der Alsterquelle
folgte, hatte ich eine Dreiviertelstunde verloren.
    Ein Wohngebiet, gar nicht so weit draußen wie erwartet, aber das änderte sich nach wenigen hundert Metern. Ich schaltete runter, zeigte meinen Ausweis und nahm den Feldweg hinter der Polizeiabsperrung im Schritttempo.
    Zur Alsterquelle.
    Ein einzelner Mann stand wartend an einem Wegweiser, der zu einem Spazierpfad wies. Zivilkleidung, Kripo also.
    Ich stieg aus.
    «Düwel-Blixem», fluchte er auf Plattdeutsch, «da sind Sie ja endlich!» Mit einem Stofftaschentuch tupfte sich der Beamte aus Schleswig-Holstein die Stirn ab.
    Noch weniger Haare als Max Faber.
    «Tut mir leid», murmelte er. «Ich hab schon einiges gesehen, aber so was wie das hier …»
    Er verstaute das Tuch. Kritischer Blick auf seine Handfläche, bevor er sie mir entgegenstreckte. «Kriminalkommissar Jan Schmehlich, Kripo Schleswig-Holstein. Sie sind Albrecht?»
    Hatte der Mann keinen Fernseher?
    «Kriminalkommissarin Hannah Friedrichs, Kripo Hamburg», stellte ich mich vor.
    «’dammich», murmelte Schmehlich. «Ich muss Ihren Kollegen falsch verstanden haben.»
    Nachvollziehbar, dachte ich. Der Kollege war Alois Seydlbacher gewesen.
    «Hauptkommissar Albrecht kommt möglicherweise noch nach», erklärte ich.

Weitere Kostenlose Bücher