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Ich bin der letzte Jude

Ich bin der letzte Jude

Titel: Ich bin der letzte Jude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chil Rajchman
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die Gaskammer getrieben werden. Außerdem halten sie die Luft an, um
hineinzukommen und Platz zu finden. Während des Erstickens und der Agonie bläht
sich der Körper auf, und schließlich bilden die Leichen nur noch eine einzige
Masse.
    Die Leichen waren in unterschiedlichem Zustand, je nachdem
ob sie aus den großen oder den kleinen Gaskammern kamen. In den kleinen trat
der Tod schneller ein und war leichter. So wie die Gesichter aussahen, hätte
man meinen können, es seien Schlafende: Die Augen waren geschlossen, nur bei
einigen der Vergasten war der Mund entstellt, und auf den Lippen stand mit Blut
vermischter Schaum. Die Leichen waren schweißbedeckt. Vor dem Sterben hatten
die Menschen Urin und Exkremente ausgeschieden. Die Leichen, die aus den großen
Gaskammern kamen, in denen der Tod langsamer eintrat, hatten eine grauenvolle
Verwandlung durchgemacht. Sie hatten ganz schwarze Gesichter, als ob sie
verbrannt worden wären, die Leiber waren aufgedunsen und blau verfärbt. Sie
hatten die Zähne so krampfhaft zusammengebissen, dass es unmöglich war, die
Kiefer voneinander zu lösen, um an die Goldkronen heranzukommen. Manchmal
musste man ihnen echte Zähne herausbrechen, um den Mund überhaupt öffnen zu
können.
    Die Arbeit zur Beseitigung der Leichen war auf mehrere Gruppen
verteilt. Abgesehen von den Rampenarbeitern (etwa zwanzig Männer) gab es etwa
dreißig bis vierzig Träger, sechs Dentisten und bei den Massengräbern eine
Totengräberkolonne. Etwa zehn von ihnen standen in der Grube und legten die
Toten Kopf bei Fuß, damit möglichst viele Leichen in die Grube passten. Eine
andere Gruppe bedeckte jede Schicht mit Sand, bevor die nächste Schicht Leichen
darübergelegt wurde. Die Massengräber wurden von einem Bagger (später gab es
drei) ausgehoben. Sie waren riesig, ungefähr fünfzig Meter lang, dreißig Meter
breit und mehrere Stockwerke tief – nach meiner Schätzung: vier. Durch die unablässige
Bewegung, das Hin-und-Her-Laufen von einem Ort zum andern und die
Peitschenhiebe glich das Ganze einer Teufelsmühle. Deutsche oder Ukrainer mit
der Peitsche in der Hand bewachten jede Gruppe. Sie setzten ständig die
Peitsche ein, ohne sich darum zu kümmern, wohin die Schläge trafen: auf den
Kopf, den Rücken, den Bauch oder die Arme. Und wenn sie darauf achteten, dann
bemühten sie sich, die empfindlichsten Stellen zu treffen oder die, wo es dem
Organismus am meisten schadet. Die Rampenarbeiter und die Träger und überhaupt
alle waren einem höllischen Arbeitstempo unterworfen. Die Rampenarbeiter
mussten dafür sorgen, dass immer ein Haufen Leichen bereit war, damit die
Träger nicht zu warten hatten. Die Träger mussten im Laufschritt eine Leiche
fassen – und schon aus der Ferne eine aussuchen, die sich leicht herausziehen
ließ –, sie auf die Trage werfen und damit zum Massengrab rennen.
    Die Tragen ähnelten Leitern, daran waren Riemen befestigt, die über
die Schultern gezogen wurden.
    Die Dentisten standen auf dem Weg von der Rampe zum Massengrab in
einer Reihe. Der Erste der Reihe musste rasch die Mundhöhle der Leiche prüfen,
und wenn er Goldzähne oder andere falsche Zähne entdeckte, wies er die Leiche
einem freien Dentisten zu. Die Träger traten einen Moment zur Seite, um das
Hin-und-Her-Laufen nicht zu behindern. Es war ihnen verboten, die Leichen auf
die Erde zu legen. Sie mussten sie festhalten, und der Dentist fasste mit der
Zange rasch den Goldzahn oder die Brücke und zog sie so schnell wie möglich
heraus. Er musste genau aufpassen, dass er keinen der zu ziehenden Zähne
übersah. Vor dem Massengrab kontrollierten die Deutschen. Wehe dem Dentisten,
dem im Mund einer Leiche ein Goldzahn entgangen war.
    Einmal sah ein Deutscher im Mund eines Toten einen Goldzahn blinken.
Da ich der Letzte in der Reihe war, wurde ich für die Sünde verantwortlich
gemacht. Ich musste unverzüglich in die Grube springen, dabei habe ich mich
mehrmals überschlagen. Ich zog den Zahn in aller Eile heraus, und als ich aus
der Grube gestiegen war, befahl mir der SS -Mann,
mich auf die Erde zu legen. Er verpasste mir fünfundzwanzig Peitschenhiebe. Ein
anderes Mal, kurz danach, habe ich einen Mund voller Zähne durchgehen lassen.
Ich war wieder der Letzte in der Reihe gewesen, die anderen Dentisten waren
beschäftigt. Es war eine sehr schwere Leiche, und die Träger hofften, es würde
ihnen gelingen, sie ohne Kontrolle in die Grube werfen zu können. An diesem Tag
arbeiteten wir unter dem Befehl des

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