Ich bin der letzte Jude
denen die Leichen
ausgegraben wurden, musste eine dünne Schicht Asche ausgestreut werden, darauf
kam eine dünne Schicht Sand, und so weiter, bis etwa zwei Meter unterhalb der
Erdoberfläche. Die letzten zwei Meter wurden nur mit Sand aufgefüllt. Auf diese
Weise hofften sie, für immer die Spuren ihrer furchtbaren Verbrechen zu
verwischen.
Die Juden, die dazu bestimmt waren, die Gruben auszuräumen,
versäumten keine Gelegenheit, Überreste menschlicher Gebeine in der Erde zu
lassen. Die Gruben waren unten enger, und von den Wänden rieselte Erde. Die
geringste Unaufmerksamkeit eines Deutschen oder eines Spitzels wurde genutzt,
um möglichst viele Knochen unter der Erde zu begraben.
Die Asche wurde in feinen Schichten ausgebreitet: eine Schicht
Asche, eine Schicht Sand. Das war Routine. Diejenigen, die von morgens bis
abends Asche und Sand herankarrten, traten dabei den Boden mit den Füßen fest.
Ich erinnere mich, wenn wir morgens wieder zur Arbeit
zurückkehrten, stellten wir fest, dass die Oberfläche der Gruben an vielen
Stellen aufgeplatzt war. Tagsüber wurde sie ständig mit den Füßen bearbeitet,
aber nachts schob das Blut so viel Erde beiseite, dass die Träger alle Mühe
hatten, mit ihren Karren voller Asche und Sand in die Gruben hinunterzusteigen.
Das Blut der Abertausend Opfer kann nicht in Frieden ruhen und
drängt an die Oberfläche.
13
Das Leben in der Baracke.
Typhusepidemie.
Das »Lazarett«.
Das Leben ist sehr hart, wir sind immer voller Dreck. Wir
müssen von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends arbeiten. Nach der Arbeit sind
wir so erschöpft, dass wir todmüde auf dem Boden zusammensinken. In der Baracke
gibt es kein Wasser. Der Brunnen ist weit weg auf dem Appellplatz, und sobald
wir mit der Arbeit aufhören, werden wir in unserer Baracke eingeschlossen, die
mit Stacheldraht umzäunt ist und von einer besonderen Wachmannschaft
beaufsichtigt wird.
Treblinka wird von einhundertvierundvierzig Ukrainern und etwa
hundert SS -Männern bewacht. 36 Sie hüten uns wie ihren Augapfel.
Wir werden dreimal am Tag gezählt. Wir werden ständig geschlagen und gestoßen.
Es tut uns überall weh, aber keiner meldet, dass er krank ist. Die Neuen, die
gerade erst ankommen, wissen noch nicht, dass man nicht krank sein darf, und
melden es beim Appell. Ihnen wird befohlen, aus der Reihe zu treten und sich
auf der Stelle auszuziehen. Die Mörder machen mit den Nackten eine Zeit lang
allerlei Strafübungen, dann erschießen sie die Opfer.
In Treblinka ist es verboten krank zu sein. Viele halten es nicht
aus und begehen Selbstmord. Das gehört zu unserem Alltag. Jeden Morgen gibt es
in unserer Baracke ein paar Männer, die sich erhängt haben.
Ich erinnere mich an einen Vater und seinen Sohn, die nach zwei
Tagen Aufenthalt in dieser Hölle beschlossen haben, sich das Leben zu nehmen.
Da sie nur einen einzigen Gürtel hatten, einigten sie sich darauf, dass sich
der Vater als Erster erhängt, der Sohn ihn danach herunternimmt und sich mit
demselben Gürtel erhängt. So geschah es auch. Am Morgen waren beide tot, wir
holten sie aus der Baracke, damit die Mörder feststellen konnten, dass wir
vollzählig waren.
Eines Tages werden siebzig neue Arbeiter zu uns gebracht,
sie sind aus einem frischen Transport ausgewählt worden. Sie arbeiten ein paar
Stunden, bis zum Abendappell. Beim Appell am nächsten Morgen melden sich
zwanzig dieser Männer krank. Der Lagermörder teilt sie daraufhin den
Leichenträgern zu. Er treibt sie zum Laufschritt an und lässt sie bis zu drei
Leichen auf einmal tragen. Sie müssen immer schneller laufen, dürfen nicht an
Tempo verlieren, während wilde Schläge auf ihre Köpfe niedergehen. Sie können
sich nicht mehr auf den Beinen halten. Nach einer halben Stunde wird ihnen
befohlen, sich nackt auszuziehen, und die Mörder schlagen wieder auf sie ein
und brüllen: »Ihr Hunde wollt nicht arbeiten!«
Dann müssen sie zu der Grube laufen, in die die vergasten Menschen
geworfen werden. Die Verbrecher streiten sich darum, wer schießen darf.
Schließlich einigen sie sich und teilen das Erschießen untereinander auf.
Sie sind mit ihrem Spaß sehr zufrieden. Sie zielen direkt auf den
Kopf, und meistens reicht eine einzige Kugel für ein Opfer.
Anfangs lernten sich die Häftlinge nur selten
untereinander kennen, denn jeden Tag wurden die erschossenen durch neue
ersetzt. Später dann, als die Arbeit nicht schnell genug voranging, weil die
Zeit zu kurz war, um die nötige Erfahrung zu
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