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Ich bin der letzte Jude

Ich bin der letzte Jude

Titel: Ich bin der letzte Jude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chil Rajchman
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Ukrainers, die uns überwachen, können wir uns verständigen, und zwar so:
Auf unserer Seite sprechen zwei Kameraden laut miteinander, die Männer auf der
anderen Seite hören die Unterhaltung und antworten auf dieselbe Art, indem sie
ebenfalls miteinander reden. Die Verbrecher passen scharf auf, dass wir nicht
miteinander reden.
    Ich erinnere mich: Unter großen Mühen ist es uns gelungen, den
Lagerchef dazu zu überreden, denjenigen, die im anderen Lager einen Bruder
hatten, zu erlauben, diesen zu treffen. Er willigt ein, warnt uns aber, dass
die Brüder sich nur nach ihrem Ergehen erkundigen dürften. Auf keinen Fall
dürfen sie über ihre Arbeit sprechen oder sie irgendwie beschreiben. Das
Treffen findet im Lager Nr. 1 statt, und das Gespräch wird auf fünf Minuten
beschränkt.
    Unsere Kameraden kommen sehr zufrieden zurück. Obwohl sich hinter
jedem von ihnen ein SS -Mann aufgestellt hat und die
Brüder sich auf Deutsch unterhalten mussten, ist es ihnen gelungen, wichtige
Nachrichten mitzubringen: Im Lager Nr. 1 haben sie schon einen Nachschlüssel
zum Waffenlager angefertigt. Bald werden wir das Lager befreien.
    Unsere Freude ist unbeschreiblich. Wir, die kaputten Krüppel,
schöpfen neue Kräfte. Wir alle wollen daran glauben, dass es uns gelingt.
    Unterdessen geht die Arbeit weiter. Fünfzehn Frauen, die
aus einem Transport aus Białystok ausgewählt worden sind, kommen zu uns. Ein
paar werden der Küche zugeteilt, die anderen der gerade erst fertiggestellten
Wäscherei. Die hygienischen Verhältnisse haben sich etwas verbessert. Der
Befehl ist ausgegeben worden, jede Woche ein frisches Hemd an uns zu verteilen,
und jeden Sonntag gibt es warmes Wasser zum Waschen. Das Leben ist ein bisschen
leichter geworden. Zur gleichen Zeit wird auch ein Klosett gebaut, dem ein
besonderer Arbeiter namens Szwer zugeteilt wird. Von Beruf war er Ingenieur.
Man befiehlt ihm, sich wie ein Clown anzuziehen. Er trägt eine Kippa auf dem
Kopf, einen langen Kaftan wie ein Rabbiner, einen roten Schal, in der Hand
einen schwarzen Spazierstock, und um den Hals hat man ihm einen Wecker gehängt.
Der Klosettaufseher muss dafür sorgen, dass wir nicht länger als zwei Minuten
im Klosett bleiben, andernfalls gibt es Peitschenhiebe. Der Lagerchef versteckt
sich oft in einer Ecke und überwacht von dort aus, wie lange wir im Klosett
bleiben und ob der Aufseher nur die hineinlässt, die eine Nummer genommen
haben. Wir mussten uns nämlich besondere Nummern besorgen, um das Klosett
benutzen zu dürfen. Es kommt oft vor, dass die Verbrecher uns die Nummer
verweigern. Wir sind dem Platzen nahe, und anstatt der Nummer kriegen wir
Peitschenschläge.
    Der Klosetthüter zählt zu den beliebtesten Vergnügungen der
Verbrecher. Ständig bringt ihm jemand etwas Neues zum Anziehen, damit er immer
ulkiger aussieht. Er muss die Klosetts im Rabbinergewand reinigen, und in
dieser Uniform muss er zum Abendappell antreten. Die Mörder fragen ihn oft:
»Rabbiner, wie klappt es mit der Scheiße ?«
    Und er muss antworten: »Sehr gut.«
    Pessach naht. Die Mörder inszenieren wieder eine kleine
Komödie, sie geben uns eine Flasche Wein und Mehl, damit wir die Matze herstellen.
Wir bereiten den Sederabend 44 vor, die SS -Männer laden sich am Abend selbst in
unsere Baracke ein. Unter uns ist ein Kantor und Vorbeter aus Warschau, der die
Matze bäckt und den Seder anführt. Die Mörder ergötzen sich an der Komödie,
nach ein paar Minuten verlassen sie die Baracke wieder.
    Ich erinnere mich an die Sedernacht. Wir sind ein paar Kameraden.
Draußen weht ein leichter Wind. Die Öfen sind in Betrieb, das Feuer flackert.
Zehntausend Juden lösen sich an diesem Abend in Rauch auf, am nächsten Morgen
ist keine Spur mehr von ihnen übrig. Und wir feiern ganz vorschriftsmäßig den Seder.
    Am nächsten Morgen zu Arbeitsbeginn wendet sich der Ofenspezialist
an uns (als hätten wir ihm eine Frage gestellt): Er wisse sehr genau, wie hart
und schmutzig unsere Arbeit sei. Er fragt, ob wir noch fünfzig Mann Verstärkung
haben wollten – unter der Bedingung allerdings, dass wir uns mit derselben
Lebensmittelration zufriedengeben und sie mit den Neuen teilen. Ohne unsere
Antwort abzuwarten, sagt er, wir würden es sicher vorziehen, härter zu arbeiten
und dafür unsere Rationen zu behalten. Dazu versichert er uns, das alles dauere
nicht mehr lange, wir seien bald mit dieser Scheiße fertig. Danach würde unser Leben viel leichter werden. Wir bekämen alle einen
neuen Anzug,

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