Ich bin der letzte Jude
denen der
Stacheldraht durchgeschnitten werden soll.
Alles ist bereit. Es herrscht höchste Erregung, aber ebenso groß ist
die Angst, die Verbrecher könnten vor dem Abend den Betrug entdecken und uns
erschießen. Wir machen Pause und essen zu Mittag. Die letzte Nachricht aus
Lager Nr. 1 lautet, dass alles bereit ist. Wir fürchten noch, etwas Unvorhergesehenes
könnte unsern Plan vereiteln. Wir haben dafür gesorgt, dass die Leute am Feuer
genug zu tun haben, damit sie nicht zu früh mit ihrer Arbeit fertig sind und in
ihrer Baracke eingeschlossen werden. Wir haben vorgetäuscht, die Verbrennung,
die nicht ideal war, müsse verbessert werden. In der Küche haben wir nicht
genug Wasser mitgenommen, deshalb müssen einige von uns noch einmal zurückgehen
und welches holen. Es handelt sich um drei tüchtige Kämpfer, deren Aufgabe es
sein wird, sobald der Aufstand beginnt, den Ukrainern die Kehle
durchzuschneiden und ihre Waffen an sich zu nehmen.
Das Mittagessen wird verteilt. Wie immer sind alle ausgehungert,
aber keiner kann essen. Keiner verlangt Zuschlag. Viele Kameraden rühren das
Essen nicht an. Nach der Mittagspause kehren alle zu ihren Arbeitsplätzen
zurück, glücklich und zufrieden. Wir sagen uns: »Heute! Heute!«
Die Arbeit geht gut von der Hand. Unsere Henker sind hocherfreut
darüber, wie reibungslos alles funktioniert. Wir bemühen uns, so wenig wie
möglich zu sprechen, um nicht auf uns aufmerksam zu machen. Unsere Werkzeuge
befinden sich am verabredeten Ort.
Kamerad Adolf richtet es so ein, dass er unter verschiedenen
Vorwänden jeden Posten kontrollieren kann. Trotz all der Vorbereitungen haben
viele von uns keine Ahnung von dem, was geplant ist. Die Zeit vergeht unvorstellbar
langsam, die Angst, durch irgendetwas könnte alles platzen, ist nicht auszuhalten.
Die Uhr schlägt halb vier.
Vom Lager Nr. 1 her hören wir zwei Schüsse, das Signal für den
Beginn des Aufstands. Nach ein paar Minuten bekommen wir den Befehl, die Arbeit
liegen zu lassen. Jeder läuft zu seinem verabredeten Posten. Kurz darauf
schlagen hohe Flammen aus den Gaskammern: sie sind angezündet worden. Der
Ukrainer, der neben der Baracke Wache geschoben hat, liegt auf der Erde wie ein
frisch geschlachtetes Schwein. Kamerad Shelo hat die Waffe an sich genommen.
Aus allen Richtungen sind Schüsse zu hören. Die Ukrainer, die unsere Kameraden
von ihren Wachtürmen heruntergelockt haben, liegen tot auf der Erde. Die zwei SS -Männer, die Baggerführer, sind getötet worden. Wir
laufen zum Zaun und rufen: »Revolution! Revolution!« Ein paar flüchtende
Ukrainer werfen die Arme hoch. Wir nehmen ihnen die Waffen ab. Wir sind schon
am dritten Zaun. Wir durchtrennen die Stacheldrahtzäune, einen nach dem andern.
Ich bin noch bei der Baracke. Viele Kameraden, die vor Angst den
Verstand verloren haben, verstecken sich drinnen. Mit ein paar anderen zusammen
fordern wir sie auf: »Kameraden, raus in die Freiheit, schneller, schneller!«
Alle rennen heraus. Der dritte Zaun ist offen. Fünfzig Meter weiter
steht noch eine Reihe spanischer Reiter, mit Stacheldraht umwickelt: auch die
versuchen wir zu öffnen.
Wir hören das Maschinengewehrfeuer der Mörder, die zu ihren Waffen
gestürzt sind. Viele Kameraden enden, weil sie sich in den spanischen Reitern
verfangen haben.
Ich bin einer der Letzten. Ich bin schon draußen. Neben mir ist der
Kamerad Kruk aus Płock. Er stürzt sich auf mich und schreit heraus: »Kamerad,
wir sind frei!«
Wir küssen uns. Als ich schon ein paar Dutzend Meter weiter bin,
sehe ich, dass die Mörder mit ihren Maschinengewehren hinter uns her sind. Auch
ein Wagen verfolgt uns, auf dem ein Maschinengewehr befestigt ist, das in alle
Richtungen feuert. Viele von uns werden getötet. Der Boden ist mit Leichen
übersät. Ich wechsle auf die linke Seite des Weges. Der Wagen fährt weiter auf
der polnischen Straße, ich bin jetzt hinter ihm. Wir laufen in alle
Himmelsrichtungen. Die Mörder kommen von allen Seiten.
Ich sehe, wie die Bauern und die Viehhüter auf den Feldern aus Angst
die Flucht ergreifen. Wir haben wohl schon drei Kilometer zurückgelegt, als wir
einen kleinen Wald mit jungen Bäumen erreichen. Wir sehen, dass es nutzlos ist
weiterzulaufen, und verstecken uns im Gebüsch. Wir sind zwanzig. Zu viele. Wir
teilen uns in zwei Gruppen und gehen etwa einhundertfünfzig Meter auseinander.
Wir bleiben ein paar Minuten liegen, dann sehen wir, wie
Ukrainer, von ein paar SS -Männern angeführt,
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