Ich bin der letzte Jude
Empfang vieler Transporte vor. Ende April
ist der Ofen immer noch nicht fertig. Der Lagerchef befiehlt, innerhalb von ein
paar Stunden einen anderen Ofen nahe bei den Gaskammern zu errichten. Die
Gaskammern sind geschlossen. Es ist ein glücklicher Tag für uns, denn es kommt
kein einziger Transport. Die Mörder benehmen sich wie tollwütige Hunde, sie
schlagen uns und brüllen wie gebrühte Schweine.
Am Abend hören wir das Pfeifen einer Lokomotive, aber es
war nur ein Gütertransport. Der Tag ist ohne Transport vergangen. Die Mörder
sind außer sich. Wir können nicht in Erfahrung bringen, was geschehen ist. So
vergehen noch drei Tage. Am dritten Tag befiehlt Scharführer Matias, die
Gaskammern zu öffnen. Es war das erste Mal in Treblinka, dass die Gaskammern
geschlossen worden waren, ohne dass ein Transport gekommen war.
Ein paar Tage später kam dann wieder ein Transport. Fast
alle Mörder waren mit der Peitsche in der Hand zur Stelle, um die Ankommenden
zu empfangen. Iwan 41 hielt seinen zwei Meter langen Stock parat.
Ich bin in der Dentistenzelle und höre verzweifelte Schreie. Die
Mörder sind grausamer denn je. Sie haben drei Frauen aus dem Transport
herausgeholt und der Wäscherei zugeteilt. Wir glauben, sie haben uns die Frauen
geschickt, damit sie uns erzählen, was in Warschau geschehen ist. Die Frauen
brauchen ein paar Tage, bis sie zu sich kommen, sie verstehen nicht, was wir
ihnen sagen. Dann erzählen sie uns aber, dass die Warschauer Juden heldenhaft
Widerstand geleistet haben und sich nicht wehrlos haben töten lassen. Das Getto
steht in Flammen, und die Juden kämpfen mit der Waffe in der Hand!
Es macht uns das Herz schwer, als wir von den Frauen erfahren, dass
das Getto brennt. Aber sie sind stolz, uns erzählen zu können, dass die Juden
kämpfen und dass ihre Kugeln Deutsche getötet haben.
Diese Nachricht bedrückt uns sehr. Aber gleichzeitig erwacht in uns
der Wille, uns aus Treblinka zu befreien.
Die Arbeit geht rasch voran. Es ist, als hätten sich die
Verbrecher eine Frist gesetzt, in der hier alles abgeschlossen sein muss. Eine
Grube ist kaum ausgeräumt, da wird schon die nächste aufgemacht.
Als »der Artist« feststellt, dass in den oberen Schichten der
Massengräber noch ganze Leichen liegen, befiehlt er den Trägern, ihre Arbeit zu
unterbrechen, die Leichen auszugraben und direkt zum Scheiterhaufen zu bringen.
Die Träger bemühen sich, genau den Zeitpunkt abzupassen, wenn sich die Baggerschaufel
in die Grube senkt, dann schnell eine Leiche zu fassen und sich rasch zu entfernen,
um nicht von den Leichen getroffen zu werden, die der Bagger herauswirft.
Spezielle Arbeiter werden mit dem Zählen der Leichen
beauftragt. Jeden Abend müssen sie dem Scharführer-Chef Matias Bericht
erstatten, wie viele Leichen am Tag verbrannt worden sind. Es werden nur die
ganzen Leichen gezählt, die, an denen der Kopf noch dran ist. Wenn der Kopf
fehlt, ist die Leiche keine Einheit mehr. Die Köpfe ohne Körper werden separat
gezählt. Der Chef hat den Eindruck, dass man ihn betrügt und nicht richtig
zählt. Er schlägt die Juden und droht, sie zu erschießen.
Wir Dentisten kommen mit der Arbeit nicht nach. Wir sind dauernd von
mehreren Kästen umgeben, die randvoll mit Zähnen gefüllt sind. Wir müssen sie
reinigen und alle paar Tage einen Koffer mit Gold und Edelsteinen abliefern.
Von Zeit zu Zeit stattet uns der Kommandant von Treblinka einen
Besuch ab. Er richtet sich vertraulich an unseren Vorarbeiter und sagt ihm,
falls wir auf einen großen, schönen Stein stoßen, solle er ihm direkt gebracht
werden (normalerweise legt Matias sie in einen Tresor; wir erfahren, dass das
Gold und die Wertgegenstände direkt nach Berlin in die Reichsbank geschickt und die Goldzähne dort zu Barren eingeschmolzen werden). Aber der
Chef will von uns einen Stein für sein persönliches Hausmuseum, als Andenken.
Es fällt uns nicht schwer, seiner Bitte nachzukommen, denn wir liefern seinen
Untergebenen regelmäßig solche Steine, um uns vor den Brutalitäten zu schützen.
Ab und zu kommt es vor, dass einer von den Mördern uns ein Brot oder
ein paar Zigaretten bringt, die wir unter uns zwanzig aufteilen.
Im Mai ist ein neuer SS -Mann
aufgetaucht. Am Tag nach seiner Ankunft erscheint er in der Dentistenzelle, um
seine Uhr reparieren zu lassen. Einer von uns, Uhrmacher von Beruf, übernimmt
die Reparatur. Unser Vorarbeiter nutzt die Gelegenheit und bittet den SS -Mann, aus Lager Nr. 1 ein paar
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