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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berry
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Junge im Dorf, der nicht ganz richtig im Kopf war. Auch seine Sprache war fehlerhaft. Er hat nicht lange gelebt, im Frühling ertrank er im reißenden Fluss. Meine Stimme erinnert mich an diesen Jungen. Ich klappe die Fibel zu.
    XXX
    In dieser Nacht ist der Wind warm. Ich liege im Bett und höre dem Tropfen der schmelzenden Eiszapfen zu.
    Ich denke daran, morgen wieder zur Schule zu müssen. Lieber würde ich im Erdboden verschwinden. Oder, noch besser, Rupert Gillis erwürgen.
    Ich habe gesehen, wie Lottie erwürgt wurde. Ihr Leben wurde ausgehaucht wie der Docht einer Öllampe. Selbst der widerliche Rupert Gillis hat es verdient, atmen zu dürfen.
    Aber das mit den lateinischen Gedichten und den Schlägen muss ein Ende haben. Ich will etwas lernen. Ich habe es verdient, lesen und schreiben zu können. Gedanken sollen mir Gesellschaft leisten und der Stift soll meine Stimme sein. Wer hat das eher verdient als ich?
    XXXI
    Ich habe gesehen, wie das Leben aus meiner jungen Freundin herausgepresst wurde. Ich habe gesehen, wie das Licht in ihren Augen durch die Tat zweier Hände erlosch – Hände, die so schmutzig waren, dass sie Flecken auf Lotties mit Spitze verziertem Kragen hinterließen.
    Ich habe nicht gesehen, wessen Hände es waren.
    Ich sah zu, wie sie ihren Atem für immer aushauchte, während ich im Weidenbaum saß und meinen Atem anhielt, damit er mich nicht auch fand und seine Hände auf meinem warmen Hals Abdrücke hinterließen wie schmutzige Stiefel in frisch gefallenen Schnee.
    XXXII
    Am Morgen ist der Schnee fast zur Gänze geschmolzen. Heute müsstest du uns nicht mit dem Karren zur Schule fahren. Du kommst dennoch. Darrel lehnt sich an einen Strohballen auf der Ladefläche. Jip rollt sich glücklich zu seinen Füßen zusammen. Ich will mich zu Darrel setzen, aber du bestehst darauf, dass ich mich neben dich setze. Das ist galant.
    Ich fixiere den Rumpf des Maultiers. Dein brauner Wollmantel riecht nach Feuerholz.
    Du schnalzt mit den Riemen und die Fahrt geht los.
    »Ist sie nicht hässlich?«
    Ich sehe dich an. Du meinst den Maulesel.
    Ich protestiere mit langsamen, vorsichtigen Worten. »Nichth für ein Maulthier.«
    Du grinst. »Woher hast du deine getupfte Stute?«
    Ich warte darauf, dass Darrel antwortet, aber er tut es nicht. Ich drehe mich nach ihm um. Er betrachtet die Landschaft mit einer Entschlossenheit, die ich ihm nicht eine Sekunde abkaufe. Ich muss wohl antworten. Ich wähle meine Worte sorgfältig.
    »In der Schlachth. Der Besitzer wurde getöteth.«
    »Oh?«
    Fee könnte einem der Soldaten aus Pinkerton gehört haben, aber ich weiß, dass du weißt, dass das nicht stimmt. »Ich nenne sie Fee.« Mein Gewissen zwingt mich hinzuzufügen: »Sie sollte dir gehören.«
    »Ho! Weiter! Ho!« rufst du dem Maultier zu, das ein paar vom Schnee verschonte Gräser entdeckt hat.
    Du setzt dich wieder. »Fee. Wie bist du auf diesen Namen gekommen?«
    »Sie isth eher ein Zsauberwesen als ein Tier.«
    Deine Augen wollen, dass ich weiterspreche.
    »Manchmal glaube ich, sie kann meine Gedanken lesen.«
    Du lachst. »Meine Gedanken wären jedenfalls keine spannende Lektüre. Los, dummes Maultier!«
    Jetzt lache ich.
    »Was ist so komisch?«
    »Dummes Maultier.« Ich deute auf mich selbst.
    Du wirst rot. Ich versuche, mein Lachen zu unterdrücken.
    »Das bist du nicht!«, sagst du.
    »Hmp.«
    Du blickst auf die Straße, auch wenn der Maulesel uns blind ins Dorf bringen könnte. Ich betrachte wieder seinen schwankenden Rumpf und versuche immer noch, nicht zu lachen.
    »Warum hast du mit dem Sprechen so lange gewartet?«
    Die gleiche Frage hatte Darrel gestellt und ich bin immer noch nicht darauf vorbereitet. Niemand wollte hören, was ich zu sagen hatte. Ich glaubte nicht, dass ich es konnte. Mutter wollte es nicht. Ich weiß es nicht. Ich habe gewartet, bis Maria beschlossen hat, dass ich es kann. Das geht dich nichts an.
    Ich mache mich ein bisschen größer. »Besser spät als nie.«
    Du wendest dich ab, aber ich sehe dein Grinsen noch. Dann tippst du dir an den Hut, als seist du der Verlierer eines freundschaftlichen Duells. »So ist es, Marienkäfer.«
    Erstaunt sehe ich dich an, aber du heftest deinen Blick auf die Straße.
    XXXIII
    Als wir die ersten Häuser passieren, erschreckst du mich: » Ein Pferd, das deine Gedanken lesen kann. Ich frage mic h, was sie da erfährt.«
    Ohne zu überlegen frage ich: »Wirklich?«
    »Bestimmt gehören deine Gedanken zu den besseren in diesem Dorf.«
    Ah. Die

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