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Ich bin die, die niemand sieht

Ich bin die, die niemand sieht

Titel: Ich bin die, die niemand sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berry
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den warmen Herbstwind ein. Es riecht nach feuchtem Laub, Erde, verrottenden Äpfeln und Rauch.
    Ein Zweig knackt.
    Ich bleibe stehen und lausche.
    Da, noch ein Schritt. Bestimmt bist du es, weil du mir sagen willst, was du mir vorhin nicht sagen konntest. Ich warte auf den nächsten Schritt. Da. Du trägst eine Laterne vor dir her, aus der aber kaum Licht dringt.
    Die Laterne kommt näher. Die Klinge meines Messers glänzt in ihrem Schein.
    Das bist nicht du. Er ist nicht groß genug.
    Und jetzt ist er, wer immer er sein mag, vielleicht schon zu nahe, als dass ich noch weglaufen könnte.
    Drohend strecke ich ihm das Messer entgegen.
    Der Lehrer kann es nicht sein. Er ist sogar noch größer als du. Dieser Mann ist kleiner.
    »Wass wollen Ssie?«, rufe ich so drohend und furchtlos, wie ich nur kann.
    Die Schritte verstummen. Ich höre eine Art Schnaufen oder Einatmen, kann es aber keiner bestimmten Person zuordnen. Dann kratzt Metall auf Metall, die Laterne wird gänzlich abgedeckt. Der Mann in der Dunkelheit bewegt sich auf mich zu.
    Ich renne zum Haus. Ich springe über die Wurzeln, die den Weg kreuzen. Mein Verfolger stolpert. Ich erreiche die sichere Tür und den Lichtschein, der aus den Fenstern dringt. Ich reiße die Tür auf, stolpere ins Haus und verriegele die Tür hinter mir. Mutters Augen sind weit aufgerissen. Ich hole Vaters Gewehr vom Regal. Mutter nimmt mir das Messer aus der Hand. Zu meiner Überraschung holt Darrel unter seiner Matratze Vaters Pistole hervor.
    »Bär?«, fragt Mutter.
    Keuchend schüttele ich den Kopf. »Mann.«
    Mutter umklammert das Messer fester. »Wer?«
    »Ich weiß nichth.«
    Mutter späht durchs Fenster in die Dunkelheit.
    »Bist du sicher, dass da jemand war?«, fragt sie nach einer Weile.
    Ich nicke bestimmt.
    »Wir brauchen einen Hund«, sagt Darrel. Ich drehe mich zu ihm um. Beinahe hatte ich vergessen, dass er auch noch da ist. Er stützt sich auf die Krücke, in der anderen Hand hält er Vaters Pistole.
    »Leg das weg«, befiehlt Mutter ihm mit Blick auf die Waffe. »Wir können es uns nicht leisten, dass du den anderen Fuß auch noch verlierst.«
    Darrel wird schamrot, sagt aber nichts. Er tut mir leid, aber ich muss zugeben, dass ich den gleichen Gedanken hatte.
    XL
    Beim Abendessen stochere ich auf dem Teller herum. Wer ist hinter mir her? Rupert Gillis ist es nicht. Mr Robinson? Ganz bestimmt nicht. Er ist zwar klein gewachsen, aber er kann es einfach nicht sein. Vielleicht einer der Nichtsnutze aus der Schule?
    Wer immer es ist, er ist ein Feigling. Ich hoffe nur, dass er so feige ist, dass er mich jetzt in Ruhe lässt.
    Ich denke an unser Gespräch in der Scheune. In all den Jahren hattest du nur mich im Kopf? Es ist wahrscheinlich das Beste, dass ich das nicht wusste. Noch vor wenigen Tagen hätte ein Zeichen von dir mich dahinschmelzen lassen. Heute Abend habe ich mich selbst überrascht.
    Ich denke an deine Abschiedsworte. Was wolltest du mir noch sagen?
    XLI
    Am nächsten Morgen erwache ich lange vor der Dämmerung. Ich ziehe mich an und kümmere mich um Fee und die Hühner. Io muht mich an. Sie will noch schlafen.
    Also gehe ich zum Fluss und hole Trinkwasser für die Tiere. Als ich mich auf den Rückweg machen will, höre ich Jip bellen. Im Dunkeln kommst du auf mich zu, kaum mehr als ein Schatten.
    Ich stelle den Eimer hin.
    »Ich bin es nur, Judith«, rufst du leise.
    »Ich weiß.«
    Jetzt stehst du vor mir und ich warte darauf, dass du mir sagst, was du willst. Ich weiß, dass es klug war, mein Herz vor dir zu verschließen, aber wenn du mir so nahe bist, machst du es mir nicht leicht.
    »Du bisth früh auf«.
    Du nimmst den Hut ab und nestelst daran herum. »Ich habe gehofft, dich hier zu finden. Ich muss dir etwas sagen.«
    Ich warte. Im Osten zeigt sich ein schwacher Lichtschein am Himmel. Du weißt nicht recht, wie du anfangen sollst.
    »Ein paar Männer aus dem Dorf stellen einen Suchtrupp zusammen«, sagst du schließlich. »In ein paar Tagen wollen sie aufbrechen und das › Nest‹ meines Vaters suchen.« Du klingst verbittert. »Sie hoffen, dort das restliche Schießpulver zu finden und …«. Mit geschlossenen Augen sprichst du weiter. »… und Beweise, dass er dich gefangen gehalten und Lottie Pratt ermordet hat.«
    Ich lasse den Eimer stehen und laufe los. Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll. Du folgst mir. Mein Kleid streift das hohe, trockene Gras.
    »Ich wollte dich warnen. Wer weiß, ob sie sein Haus überhaupt finden. Aber wenn, was

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