Ich bin die Nacht
umfasste den Griff der Schranktür und zog sie auf.
Im gleichen Moment duckte Lucas sich unter die Bettdecke.
In ihrer überreizten Fantasie hatte Alice beinahe damit gerechnet, dass ihr ein mörderischer Irrer kreischend und mit wildem Blick aus dem Schrank entgegensprang, doch sie sah nur Kleidungsstücke. Alles war, wie es sein sollte, alles schien an Ort und Stelle zu liegen.
Sie blickte zum Bett. »Lucas?«
Als er die Stimme seiner Mutter hörte, schob der Junge langsam den Kopf unter der Bettdecke hervor.
»Du bist mir ja ein Held!«, sagte Alice lachend, machte mit ihrer kleinen Show weiter und stocherte demonstrativ zwischen den Kleidungsstücken herum, damit Lucas sah, dass alles in Ordnung war.
Sie war erleichtert. Gleichzeitig ärgerte sie sich über ihr kindisches Verhalten. Demnächst schlafe ich wohl nur noch, wenn das Licht brennt. Dabei hatte sie nie einen Grund gehabt, die Dunkelheit zu fürchten. Außerdem war sie kein ängstlicher Typ.
»Siehst du? Ich hab dir ja gesagt, du brauchst keine Angst zu haben.«
Der Junge wirkte nicht überzeugt. »Aber da war wirklich ein Mann, Mommy. Kannst du unter mein Bett gucken?«
Seufzend ging sie ans Bett ihres Sohnes und bückte sich. Schmerz schoss ihr durch den Rücken bis hinauf zwischen die Schulterblätter. Sie zog ein gequältes Gesicht, machte aber weiter. Mit einem Ruck riss sie den Bettrock beiseite.
Sie blickte hinauf in Lucas’ ängstliches Gesicht.
»Siehst du? Unter dem Bett ist auch nichts. Und jetzt denk nicht mehr dran.«
»Was ist mit Caseys Bett?«
Allmählich ging ihr die Geduld aus, doch sie sah auch noch unter dem Bett ihrer Tochter nach. »Keine Monster. Keine bösen Männer. Ich lass das Licht an, und dann schlaft ihr weiter. Wenn was ist, rufst du mich. Alles klar?«
»Aber er ist hier irgendwo, Mommy!«, jammerte Lucas. »Ich weiß es! Er …«
Alice schnitt ihm mit erhobener Hand das Wort ab und setzte sich auf die Bettkante. »Hör mir gut zu, Lucas. Dir kann hier nichts passieren. Es sind keine bösen Männer im Haus. Außerdem passen Daddy und ich auf euch beide auf. Wir werden niemals zulassen, dass euch etwas geschieht. Du hast nur schlecht geträumt oder dir eingebildet, irgendwas zu sehen, was in Wirklichkeit gar nicht da ist. Das passiert andauernd, sogar Erwachsenen.«
»Aber …«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Sie fragte sich, ob irgendetwas die Fantasie ihres Sohnes überreizt haben könnte. »Was habt ihr eigentlich im Fernsehen geguckt, du und Daddy, als ich auf der Arbeit war?«
»Nichts«, erwiderte Lucas ein bisschen zu schnell.
»Nichts? Du weißt, dass kleine Jungen, die lügen, Stubenarrest bekommen, oder?«
»Okay, wir haben uns Ghostbuster Teil zwei angeschaut.« Hastig fügte er hinzu: »Aber ich hatte keine Angst, und ich hab den Mann wirklich gesehen!«
Bingo. Manchmal konnte sie Dwight umbringen. »Sah er aus wie Vigo der Karpartenfürst?«
Lucas sagte kleinlaut: »Nee.«
»Siehst du? Okay, wenn jemand da war, dann ist er jetzt weg. Also gehen wir lieber …«
Im Zimmer knarrte es laut.
Zuerst konnte Alice nicht sagen, woher das Geräusch kam, aber dann sah sie es. Das Knarren kam von der Zimmertür, die sich bewegte.
Habe ich denn nicht hinter die Tür geschaut?, fragte sie sich verwirrt.
Mit einem Mal schwang die Tür ins Innere des Zimmers.
Lucas kreischte auf, während Alice vor Angst erstarrte, als sie in der Zimmerecke eine dunkle Gestalt sah.
18.
Ein Cop ist wie ein Hirte. Manchmal muss er die Wölfe vertreiben, um die Herde zu schützen.
So hatte der Sheriff sich ausgedrückt. Jetzt stellte ein Trooper denselben Vergleich an. Das konnte ein Zufall sein, aber Marcus glaubte nicht an Zufälle.
Was waren das für eigenartige Typen?
Er blickte sich im Streifenwagen um, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Die Rückbank bestand im Gegensatz zu normalen Autositzen aus Plastik. Marcus wusste, warum: So ließ sie sich leichter von den kleinen Überraschungen reinigen, die Betrunkene manchmal im Fond eines Streifenwagens hinterließen. Außerdem hatte eine Plastiksitzbank keine Falten, in denen ein Verdächtiger belastendes Material verschwinden lassen konnte.
Ein Metallgitter und eine fingerdicke Scheibe aus Lexan bildeten die Barriere zwischen Vorder- und Hintersitzen. Marcus suchte am Rahmen nach Schwachstellen, fand aber keine – zumindest keine, die ihm weiterhelfen konnte. Er sah Stellen, wo das Schaumgummipolster abgenutzt oder gerissen war oder
Weitere Kostenlose Bücher