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Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ethan Coss
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Absichten waren weit finsterer.
    In seinen Augen brannte ein Feuer, wie sie es so intensiv in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen hatte. Sie wusste, dass sie mit diesem Mann weder verhandeln noch argumentieren konnte. Hinter seinen Augen wohnte das leibhaftige Böse.
    Sie biss die Zähne fest zusammen, bis sie schmerzten, und ihre Hände zitterten, getrieben von einer Angst, die sie sich bisher nicht einmal hätte vorstellen können.
    Nur ein einziger vernünftiger Gedanke vermochte die Wand aus Angst zu durchdringen, die ihr Bewusstsein umschlossen hatte: Dwights Revolver … er liegt geladen unter unserem Bett.
    Unzählige Male hatte Alice wegen der Waffe mit Dwight gestritten. Sie fand, dass sie für die Familie mehr Gefahr als Schutz bedeutete. Schusswaffen stießen sie ohnehin ab; sie war der Ansicht, dass noch nichts Gutes davon gekommen war, so etwas zu besitzen oder gar zu benutzen. Doch jetzt, im Griff der Angst, mit dem leibhaftigen Bösen von Angesicht zu Angesicht, konnte sie an nichts anderes mehr denken als an Dwights Revolver.
    Wenn ich losrenne und ihn hole, muss ich die Kinder allein lassen. Aber wenn ich es nicht tue, sind wir alle tot.
    Sie holte tief Luft und stürmte zur Tür.
    Der Mann streckte die Hand vor und krallte die Finger in ihr T-Shirt, als sie an ihm vorbeirannte. Mit unglaublicher Kraft stieß er sie in den Korridor, und beinahe wäre sie gestürzt.
    Alice prallte mit dem Kopf gegen einen großen Wechselrahmen, der gegenüber der Kinderzimmertür an der Wand hing. Wie Rasierklingen schnitten ihr Glasscherben in die Haut. Sie sank auf die Knie. Der Rahmen und ein Regal mit Nippessachen fielen von der Wand und landeten auf ihrem Rücken. Ein paar kleine Figuren zerbarsten auf dem Fußboden.
    Ehe sie sich aufrappeln konnte, war der Mann über ihr.
    Alice versuchte den Gang entlang wegzukriechen, aber der Fremde packte sie mit der einen Hand beim Gürtel und griff ihr mit der anderen ins Haar, riss sie vom Boden hoch und rammte sie gegen die Wand. Dann machte er einen Schritt zurück und schleuderte sie durch den Flur.
    Alice prallte so schmerzhaft auf, dass sie gellend schrie. Weitere Bilder und Zierrat fielen von den Wänden. Sie schmeckte etwas Metallisches im Mund und begriff, dass es ihr eigenes Blut war. Sie wehrte sich gegen die aufkommende Ohnmacht. Sie musste bei Besinnung bleiben, musste stark sein. Mehr als nur ihr Leben stand auf dem Spiel.
    Wo bleibt Dwight?
    Alice lag auf halbem Weg zur Küche im Flur, sodass sie durch die Tür ins Wohnzimmer schauen konnte. Dwight saß noch immer schlafend im Sessel. Mit dünner, schwankender Stimme rief sie nach ihm, doch er rührte sich nicht.
    Hört er mich denn nicht?
    Sie kam auf die Beine, taumelte in den Raum. Das Zimmer hatte für Alice bisher wunderbare Erinnerungen an Weihnachten und Geschenke unter dem Baum bedeutet, Geburtstagsfeiern und die ersten Schritte ihrer Kinder. Doch als sie nun fassungslos auf ihren Mann starrte, zerplatzten diese glücklichen Erinnerungen wie Seifenblasen und verschwanden, als hätte es sie nie gegeben.
    Dwights Kleidung war durchnässt von seinem eigenen Blut. Seine Kehle klaffte vom einen Ohr zum anderen auf. Seine Augen zeigten noch immer das Entsetzen, das er in jenem Augenblick empfunden hatte, in dem er gestorben war. Sein Mund war wie zu einem lautlosen Schrei geöffnet.
    Alice bekam weiche Knie, und beinahe wäre sie von dem Schock zusammengebrochen. Grenzenlose Hoffnungslosigkeit erfasste sie. Am liebsten hätte sie aufgegeben, hätte das Unausweichliche hingenommen und den Mörder gebeten, es endlich hinter sich zu bringen. Nur der Gedanke an ihre Kinder ließ sie weitermachen. Sie würde ihn aufhalten. Sie würde ihn töten.
    Das muss ich.
    Der Mörder ihres Mannes ließ sich Zeit, ihr durch den Gang zu folgen. Er schlenderte wie jemand, der sorglos an einem Sommertag einen Spaziergang im Park macht. Es war, als wollte er jeden Augenblick der kurzen Verfolgungsjagd genießen.
    Alice rannte in die Küche und zum Messerblock auf der Arbeitsplatte. Sie zog das größte Messer heraus, das sie nie benutzte, weil sie Angst hatte, sie könnte sich damit einen Finger abtrennen oder es sich ins Bein stoßen. Aber jetzt kam es ihr gerade recht.
    Sie fuhr herum und stellte sich dem Angreifer.
    »Stehen bleiben!«, rief sie. Sie streckte das Messer vor und machte sich bereit, aber der Mann blickte nicht einmal auf die schimmernde Klinge. Der selbstsichere Ausdruck in seinen Augen machte Alice’

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