Ich bin die Nacht
Haus. Er musste an der Leiche Allen Brubakers vorbei – des Mannes, dem er durch sein Erscheinen den Tod gebracht hatte. Welch hohen Preis hatten Allen und seine Familie dafür bezahlt, dass sie ihm geholfen hatten …
Marcus empfand tiefe Verzweiflung. Erst hatte er die Familie ins Unglück gestürzt, und nun hatte er sie nicht einmal beschützen können. Sie hätte jemanden gebraucht, der sie vor mir beschützt, nicht umgekehrt.
Ein Deputy befahl ihm, vor einem der beiden Streifenwagen stehen zu bleiben. Marcus stieg der Brandgeruch seines Molotow-Cocktails in die Nase, aber entgegen seiner Hoffnung war das Feuer erloschen. Der Bug des Wagens zeigte auf die alte Scheune der Brubakers, die von den Scheinwerfern in geisterhaftes künstliches Licht getaucht wurde.
Der Sheriff hielt Charlie noch immer gepackt und wahrte vorsichtigen Abstand zu Marcus. »Auf die Knie«, befahl er nun. »Hände auf den Rücken. Legen Sie sich die hier an.« Er warf ihm ein Paar Handschellen zu.
Marcus fühlte sich schrecklich hilflos. Am liebsten hätte er sich auf den Sheriff und seine Männer gestürzt. In der augenblicklichen Lage jedoch sah er keine andere Wahl, als dem Sheriff zu gehorchen. Marcus bog die Arme auf den Rücken, schloss die Schellen um seine Handgelenke und kniete sich hin.
»Braver Junge«, sagte der Sheriff und zog Charlie vor den Streifenwagen. Mit einem Tritt gegen die Beine zwang er auch den Jungen auf die Knie. Charlie starrte zu Boden und mied Marcus’ Blick. Marcus machte dem Jungen keinen Vorwurf, aber er wusste, dass Charlie bereute, was er getan hatte. Hoffentlich lebten sie lange genug, damit er Charlie erklären konnte, dass es nicht seine Schuld war.
Immerhin haben wir die Meute lange genug abgelenkt, um Loren und Amy die Flucht zu ermöglichen.
Aber das war ein schrecklicher Irrtum, wie sich Augenblicke später zeigte, als ein Deputy mit den beiden Frauen hinter dem Haus hervorkam. Marcus konnte es nicht fassen. Loren und Amy waren doch nicht entkommen.
Resigniert senkte er den Kopf. Er hatte auf ganzer Linie versagt.
Ihm war klar, dass er sich keine Schuld geben sollte. Nicht er war der Täter, sondern der Sheriff. Er hatte Allen ermordet. Aber dieser Gedanke minderte Marcus’ Schuldgefühle keineswegs.
Loren und ihre Tochter mussten vor einem Deputy hergehen, den Marcus nicht erkannte. Er fragte sich, wie er einen Posten hinter dem Haus hatte übersehen können. Und wieso hatte der Mann nicht in dem Augenblick geschossen und sie ins Haus zurückgetrieben, als sie durch die Tür gekommen waren?
Der Deputy ließ die beiden Frauen neben Charlie niederknien.
Loren wirkte ausgezehrt und schien jede Hoffnung aufgegeben zu haben. Sie blickte Marcus aus trüben Augen an. »Der Mann lag auf dem Rücksitz«, sagte sie leise. »Wir hatten keine Chance. Diese Leute haben an alles gedacht. Wir …«
Der Sheriff unterbrach sie. »Endlich mal jemand mit einem Funken Verstand. Sie haben recht, Loren. Ich habe an fast alles gedacht, aber unseren Freund Marcus hier hatte ich nicht auf der Rechnung. Ich hatte nie die Absicht, einen von euch in die Sache hinzuziehen, doch manchmal muss man das Blatt spielen, das man auf der Hand hat. Leider, Marcus, konnte Ackerman durch Ihren kleinen Trick im Schuppen entkommen. Dabei war er wichtig für unsere Pläne, sehr wichtig. Aber keine Sorge. Ich habe mich über Sie erkundigt, Marcus. Ich glaube, Sie können unseren Zielen noch besser dienen als Ackerman.«
»Fahren Sie zur Hölle! Ich weiß nicht, was für einen Irrsinn Sie vorhaben, aber ich mache nicht mit. Sie können mich genauso gut jetzt schon töten.«
Der Sheriff lachte auf. »Immer mit der Ruhe. Alles zu seiner Zeit, mein Freund. Übrigens brauche ich weder Ihre Mitwirkung noch Ihre Erlaubnis. Sie spielen die Rolle, die ich Ihnen zuteile, ob es Ihnen passt oder nicht. Ich fürchte jedoch, ich brauche keine Komparsen. Deshalb muss ich euch drei leider aus der Truppe entlassen.«
Loren riss angsterfüllt die Augen auf. Sie suchte Marcus’ Blick und flehte stumm um Hilfe, aber er war völlig machtlos. Und der Sheriff mochte brutal sein und seine ganz eigenen Vorstellungen von Recht und Ordnung haben, doch er war kein Killer. Marcus konnte sich unmöglich vorstellen, dass er tatsächlich eine wehrlose Mutter und ihre Kinder tötete.
»Vermutlich werden wir niemals erfahren, weshalb Sie durchgedreht sind und Ihren Amoklauf begannen, Marcus«, sagte er. »Erst Maureen, jetzt die Brubakers, und morgen …
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