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Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ethan Coss
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bloß eine Aneinanderreihung von zufälligen Geschehnissen, die den alltäglichen Zyklus einer bedeutungslosen, sinnlosen Welt aufrechterhielten. Nie zuvor hatte er irgendeine Verbindung entdeckt oder einen Grund gesehen, dass ein großes Ziel oder eine höhere Macht im Universum sämtliche Punkte miteinander verband.
    Jetzt allerdings sah er es anders.
    Er sah Bedeutungen, wo es vorher nur Verzweiflung gegeben hatte. Er sah Planung, wo bislang nur Chaos zu erkennen gewesen war. Er glaubte nun, dass er einen kurzen Blick auf seine eigene Bestimmung erhascht hatte, und genoss das Gefühl, dass sein Leben einen Sinn besaß. Welch erregende Offenbarung. Er kam sich vor wie ein Zug, der mit Höchstgeschwindigkeit in einen Frontalzusammenstoß rast.
    Er wusste, was er zu tun hatte. Alles erschien ihm mit einem Mal glasklar.
    Er hatte versucht, sich selbst Sand in die Augen zu streuen und seine wahre Natur zu verleugnen, aber jetzt wusste er, wohin er gehörte. Er ergab sich wieder der Finsternis, und diesmal mit Leib und Seele. Er war kein gebrochener Mann. Er war ein Dämon, in Schmerz und Blut geformt. Vor seinem wahren Ich konnte er nicht davonlaufen. Das konnte niemand.
    Vor ihm lag die schlafende Stadt Asherton, der Ort, wohin ihn seine Geschichte von Anfang an hatte führen sollen. Ohne Zweifel gingen die Menschen in dieser Stadt wie üblich ihren Geschäften nach, arglos und ahnungslos. Ackerman plante, das friedliche Städtchen zu befeuern – im wahrsten Sinne des Wortes.
    Er grinste. Oh ja, er freute sich auf Asherton.
    Er konnte Rache am Sheriff nehmen. Er würde eine Möglichkeit finden, den Mann zu treffen, der ihn benutzen und dann ermorden wollte. Er würde herausfinden, was dem Sheriff am liebsten und teuersten war, und es vernichten. Und wenn er den Mann aller Hoffnung beraubt und ihn am Boden hatte, würde er ihm das Geschenk des Todes machen.
    Es gibt so viel zu tun, und ich habe so wenig Zeit.
    Doch nicht nur Rache wartete auf Ackerman, sondern auch ein Zweck, eine Bestimmung. Er wusste, dass der Kollisionskurs, auf dem er sich sein Leben lang befunden hatte, ihn nun mit atemberaubender Geschwindigkeit zu seinem vorherbestimmten Ende führte. Er wusste, dass sein Weg ihn mit seiner anderen Hälfte zusammenbringen würde, seinem anderen Ich. Selbst jetzt, in diesem Augenblick, spürte Ackerman diesen anderen. Er würde ihn nicht einmal suchen müssen – der andere würde ihn finden.
    Seine Rache und seine Bestimmung lagen vor ihm, und er konnte es kaum erwarten, dass beides zum Abschluss gebracht wurde.
    Ihm war, als wäre er zum personifizierten Bösen geworden. Er war jetzt der Schwarze Mann. Er war die Nacht, und es wurde Zeit, dass die Nacht sich über die arglose Stadt Asherton senkte.

Dritter Teil
Stecken und Stab

35.
    Die Straßen Ashertons waren menschenleer, doch Ackerman fiel es nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie vor Leben wimmelten, vor emsigen kleinen Bienen, die ihre täglichen Aufgaben erfüllten. Arbeiten, nach Hause gehen, schlafen. Und am nächsten Tag das Gleiche. Und wieder, und wieder. Den Zyklus fortsetzen, niemals die Routine unterbrechen. Apathisch, gedankenlos und ohne zu ahnen, dass etwas nicht stimmen könnte.
    Ackerman konnte sie sich vorstellen, wie sie ihre Hunde ausführten, den Einkauf machten, den Arzt aufsuchten und im Diner aßen. Er sah die Kinder auf den Spielplätzen und wie sie sich am Eiswagen anstellten. Es war leicht zu sehen, dass Asherton, sobald das Sonnenlicht auf das Städtchen strahlte, zum Inbild des amerikanischen Kleinstadttraums vom weißen Gartenzaun wurde.
    Allein der Gedanke verursachte ihm Übelkeit. Er musste dem Ganzen ein Ende machen.
    Aber wo fange ich an?
    Er brauchte Informationen, doch zu dieser späten Stunde war nur die örtliche Bar noch geöffnet, das Asherton Tap.
    Also gut. Dann machen wir dort den Anfang.
    Er musste einen Block entfernt parken, weil der Parkplatz und die benachbarten Straßen voll waren. Es war ein Wochenende in einer Kleinstadt, da herrschte in der Bar nun mal Hochbetrieb.
    Die Gäste hatten sich bis auf den Gehsteig ausgebreitet, lachten und schwatzten an der frischen Luft. Das Schild des Lokals hing schief, und im Wort »Asherton« fehlten mehrere Buchstaben. Neonreklame für verschiedene Biersorten erhellte die Fenster.
    Ackerman betrat den gedrungenen Ziegelbau. Die Gäste standen dicht an dicht, und er musste sich zwischen ihnen hindurchquetschen, um die Theke zu erreichen. Schließlich setzte er sich

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