Ich bin die Nacht
ob hinter den Grenzen der Unendlichkeit Vergebung zu finden war. Doch das Schütteln hielt an.
»Marcus? Wachen Sie auf, wir haben keine Zeit. Wachen Sie auf.« Jemand rüttelte ihn an der Schulter und redete leise, aber drängend auf ihn ein.
Er blinzelte den letzten Nebel fort und setzte sich auf. Sein Kopf dröhnte, doch er ignorierte den Schmerz und schaute den Mann an, der ihn geweckt hatte.
Der Mann trug den schwarzen Overall eines Sondereinsatzkommandos, war gut gebaut und durchschnittlich groß. Sein Haar war sandblond und kurz geschnitten. Der Mann konnte nur ein paar Jahre älter sein als er, Marcus, aber die Fältchen, die sich um seine Augen gebildet hatten, verrieten Härte.
»Ich kenne Sie …«, sagte Marcus verwirrt.
»Wir haben uns schon gesehen, ja.«
»Sie sind Andrew Garrison, nicht wahr? Der Immobilienmakler.« Garrison hatte ihm angeboten, seine Ranch für ihn zu verkaufen. Rückblickend wünschte sich Marcus, er wäre auf die Offerte eingegangen und niemals hierhergezogen.
»Ja. Aber heute verkaufe ich keine Grundstücke«, erwiderte Garrison. »Sie sind auf der Ranch des Sheriffs. Ich habe das Anwesen überwacht und gesehen, wie man Sie aus einem Streifenwagen gezerrt und in den Keller gebracht hat. Ich gehe ein großes Risiko ein, indem ich Ihnen helfe, aber ich hoffe, Sie verfügen über bestimmte Informationen, die ich brauche. Ich habe jetzt keine Zeit, es Ihnen zu erklären. Wir müssen hier raus, also seien Sie leise und folgen Sie mir.«
Marcus schaute an sich hinunter. Er war gefesselt gewesen, doch Garrison musste ihn losgemacht haben. Warum? Was hatte das alles zu bedeuten? Marcus war verwirrt. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie der Makler ins Bild passte.
In Garrisons Augen stand Entschlossenheit, als er Marcus auf die Beine half. »Kommen Sie«, sagte er. »Wir müssen hier weg.«
Marcus schüttelte den Kopf, um die restlichen Spinnweben in seinem Verstand loszuwerden, und blickte Garrison dankbar an. »Ich bin froh, dass Sie hier sind. Ich habe ernsthaft über Ihr Angebot nachgedacht, mein Haus an den Mann zu bringen. Ich glaube, ich verkauf ’s. Irgendwie komme ich mit den Leuten hier nicht zurecht.«
Garrison grinste. »Wirklich? Sie haben sich doch so viele neue Freunde gemacht.«
»Wenn das meine neuen Freunde sind, möchte ich nicht so lange hierbleiben, bis ich mir Feinde mache.«
Garrison nickte. »Können Sie gehen?«
Marcus konnte den Mann noch immer nicht einschätzen, doch im Moment störte ihn das wenig. »Ich schaffe das schon. Gehen Sie voran.«
Er musterte den Raum, um sich zu orientieren. Regale mit Konservendosen, Werkzeugen und altem Gerümpel standen auf dem rissigen Betonfußboden. Zwischen den Deckenbalken spannten sich Spinnennetze. Die Luft roch feucht und modrig.
Sie nahmen nicht die Kellertreppe, sondern eine kleinere Treppe auf der anderen Seite des Raumes, deren schmale Stufen zu einer altmodischen Kellerluke führten, die vermutlich außerhalb des Hauses lag. Marcus durchfuhr ein Erinnerungsblitz, wie er diese schmale Treppe hinuntergeschleift worden war. Die blauen Flecken an seinen Armen und auf dem Rücken bestätigten ihm, dass es nicht bloß Einbildung war.
Mit kraftvollen, geschmeidigen Bewegungen führte Garrison ihn zur Kellertür. »Ich musste drei Sicherheitsschlösser knacken, um die Tür öffnen zu können, und gleichzeitig den Patrouillen ausweichen«, sagte er. »Auf dem Gelände gehen rund um die Uhr vier bis fünf Deputys Streife.« Garrison blickte auf die Armbanduhr und schien rasch zu rechnen. »In ungefähr einer Minute müssten wir die beste Gelegenheit haben, an den Patrouillen vorbeizuschlüpfen. Bleiben Sie nahe bei mir und halten Sie den Kopf unten.«
Marcus musterte Andrew Garrison verwundert. Und dieser Mann soll Makler sein?, ging es ihm durch den Kopf. Er hat das Anwesen so genau erkundet, dass er sagen kann, wann sich in der Bewachung eine Lücke auftut? Wer ist dieser Kerl?
Garrison stieg vor ihm die Stufen hinauf. Marcus’ geheimnisvoller neuer Freund wandte sich zu ihm um. »Jetzt geht es los. Bleiben Sie dicht bei mir.«
Sie verließen den Keller und rannten über das freie Feld zwischen dem Haus und einem Maschinenschuppen. Erst als sie ihn unbeschadet erreichten, bemerkte Marcus, dass er den Atem angehalten hatte. Er blickte zum Haus des Sheriffs zurück. Das gedrungene, grauweiße Gebäude hatte zwei Stockwerke. Die Wände, sogar die Rückseite, wurden von kunstvoll beschnitzten Ziergiebeln
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