Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin die Nacht

Ich bin die Nacht

Titel: Ich bin die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ethan Coss
Vom Netzwerk:
»Stimmt so. Und danke für die Information. Jetzt lasse ich Sie lieber wieder an die Arbeit gehen.«
    Big Phil lächelte ihn an. »War nett, mit Ihnen zu plaudern. Ich hoffe, Sie bekommen die Stelle als Deputy.« Sie wandte sich dem Mann zu, der ihr Gespräch unterbrochen hatte. »Okay, du Weichei, was für ein Schlabberwässerchen willst du denn?«
    Ackerman wandte sich von der Theke ab und nahm einen langen Zug von seinem Bier. Dabei überdachte er, was er gerade erfahren hatte. Er konnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Marcus hatte Interesse an der Tochter des Sheriffs.
    Das war perfekt. Alle Zweifel, was seine Zukunft anging, verblassten. Das Schicksal hatte ihn hierher geführt.
    Er lächelte. Sein Leben hatte doch einen Sinn. Er war einem Weg gefolgt, der ihn zu diesem Tag und an diesen Ort geführt hatte. Jetzt war die Zeit gekommen. Auf der Welt herrschte nicht das Chaos. Es gab einen großen Plan, und er, Francis Ackerman, spielte eine Rolle darin.
    Zum ersten Mal, seit er ein Junge war, empfand er so etwas wie Hoffnung.
    Der Weg lag jetzt klar vor ihm. Er musste das Mädchen finden. Sie war der Schlüssel zu allem.
    Er schaute sich in der Bar um und betrachtete die Menschen mit ganz anderen Augen. Die Band auf der Bühne spielte einen weiteren Hit, um die Leute auf den Tanzboden zu locken.
    Während Ackerman sich in der Bar umschaute, verspürte er nicht mehr den Hass, den er normalerweise gegenüber anderen Menschen empfand. Die Offenbarungen der letzten vierundzwanzig Stunden hatten allem eine andere Perspektive verliehen. Er hasste die Menschen nicht mehr.
    Eigentlich schade , ging es ihm durch den Kopf.
    Denn sie mussten trotzdem alle sterben.

36.
    Während der gesamten Fahrt befand Marcus sich in einem Dämmerzustand zwischen Wachsein und Besinnungslosigkeit. Zusammenhanglose, verschwommene Bilder zogen vor seinen Augen vorbei. Immer wieder tauchte er aus einer Welt entsetzlicher Albträume in die Wirklichkeit ein, konnte aber nicht unterscheiden, was Traum war und was Realität. Er begriff das Geschehen gerade gut genug, um sich zusammenzureimen, dass man ihn in eine Art Keller geschleppt hatte, aber mehr wusste er nicht.
    Immer wieder versuchte er sich aus dem Nebel zu befreien, während er zwischen Illusion und Wirklichkeit driftete, doch jedes Mal glitt er wieder in den Traum zurück. Es war nicht der gleiche Traum, der ihn sonst immer quälte, aber er wühlte genauso viele Schuldgefühle auf. In diesem Traum befand er sich inmitten eines endlosen Meeres, umgeben von nichts als dunkelblauem Wasser und grauem Himmel. Doch er war nicht allein. Die vier Brubakers, Maggie und Ellen, seine verstorbene Tante, waren bei ihm. In aller Seelenruhe trieben sie dort. Nichts wirkte bedrohlich oder Furcht einflößend. Plötzlich aber geriet das Meer in Bewegung, und finstere Wolken ließen einen Sturzregen niedergehen. Die Strömung zerrte an ihnen, und der Regen stach wie eine Million winziger Nadeln in ihre Gesichter.
    Aber Marcus hielt sie alle zusammen. Er war stark. Er konnte sie retten.
    Doch das Meer tobte immer unerbittlicher. Schließlich entglitten sie ihm, und so sehr er es auch versuchte, Marcus konnte sie nicht halten.
    Seine Tante war die Erste, die sich aus Marcus’ Griff löste. Die Wellen rissen sie fort, und er musste mit ansehen, wie die Entfernung zwischen ihnen immer größer wurde. Verzweifelt schrie sie seinen Namen, bis ihre Rufe immer schwächer wurden und schließlich ganz verstummten.
    Er hielt die anderen in noch festerem Griff, aber es hatte keinen Sinn. Auch sie entglitten ihm, einer nach dem anderen. Sie alle riefen seinen Namen und flehten um Rettung, doch er konnte nur hilflos zuschauen.
    Maggie war die Letzte, die er verlor. Als auch sie fort war, brüllte Marcus seine grenzenlose Hilflosigkeit und Verzweiflung in den tosenden Wind. Dann hörte er auf, Wasser zu treten, und ließ sich in die trübe Tiefe sinken.
    Er zitterte, als er in die unendliche Schwärze glitt. Es musste das erste Anzeichen des nahenden Todes sein. Doch während das Zittern anhielt, glaubte er, in der Dunkelheit eine schwache Stimme zu hören, kaum mehr als ein Flüstern. Sie drängte ihn, aufzuwachen. Aber Marcus wollte nicht. Er wollte tiefer in die Finsternis gleiten, bis von ihm nichts mehr übrig war und nur die Dunkelheit blieb. Er hatte sie alle im Stich gelassen. Er verdiente nicht, zu leben, nachdem die anderen gestorben waren. Er wollte nur noch in ewigem Schlaf liegen und erfahren,

Weitere Kostenlose Bücher