Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Geburtstag ist ja schon 2000 Jahre her.« »2010«, berichtigte ich pingelig. Aber immerhin hatten sie nicht gesagt: »Weihnachten ist, weil Oma kommt.« Oder weil in der Fußgängerzone wieder lauter verkleidete Männer rumstehen, die »Warst du auch brav?« brummen.
Darüber war ich erleichtert. Denn auch wenn ich selbst vor allem deshalb in Kirchen gehe, weil ich die Stille mag und die Kunst: Unsere Kinder sind beide evangelisch. In der Schule haben sie Religion. Und ja, ich finde das gut. Denn, nein, ich bin nicht der Ansicht, dass die Kinder später selbst entscheiden können, ob sie getauft werden wollen. Wie soll man sich für oder gegen etwas entscheiden, was man gar nicht kennt? Tatsächlich hatten unsere Mädchen lange ein unverkrampftes Verhältnis zu den Geschichten in der Bibel. Für sie war das eine Art fantastisches Bilderbuch: Da wurden ausgewachsene Männer von Walen verschluckt und heil wieder ausgespuckt. Oder konnten übers Wasser gehen: Wow!
Doch jetzt werden die Mädchen größer. Sie beginnen, sich über Wunder zu wundern. Und auch ihr Verhältnis zum lieben Gott hat sich verändert.
2006 spielte Gott noch mit Opa Heiner Doppelkopf
Vor vier Jahren starb mein Vater. Da war Clara sechs und Jette drei. Wie erklärt man zwei kleinen Mädchen, was ›tot‹ bedeutet? Wie erklärt man den Widerspruch, der entsteht, wenn sie hören, dass der Opa jetzt in den Himmel kommt – aber gleichzeitig auf dem Friedhof sehen, dass die Toten in der Erde begraben werden? Man sagt vielleicht: »Begraben wird nur der Körper. Die
Seele bleibt immer lebendig.« Und merkt: Das verstehen die Kinder nicht. Oder man sagt: »Der Opa hat jetzt keine Schmerzen mehr. Es geht ihm viel besser.« Clara konnte das nicht glauben: Da unten in der Erde, wo es keinen Schweinebraten gab und keine Doppelkopfrunde, sollte es ihm gut gehen? Am Tag der Beerdigung hatte sie eine andere Theorie: »Wenn alle weg sind, und wenn es dunkel wird, dann lassen die Engel eine Strickleiter runter, und der Opa klettert hoch in den Himmel. Da spielt er dann mit Gott Doppelkopf.« »Zum Doppelkopf braucht man vier«, sagte ich, froh, dass mein Kind mir einen Weg zeigte aus meinen dunklen Gedanken. »Wer sind die anderen beiden?« »Der Josef und die Maria«, sagte Clara. »Die sind ja auch schon im Himmel.« Damals wünschte ich sehr, es könnte so sein!
2008 hörten die Engel auf zu kegeln
Als Clara ungefähr sieben war, enttarnte sie den Weihnachtsmann, den Osterhasen, die Zahnfee und unsere zwei Matratzenmonster Hans und Franz. »Gibt es alles gar nicht«, erklärte sie der empörten Jette. »Die Geschenke kaufen Mama und Papa, und Hans und Franz sind bloß Einbildung.« Blieb noch der Schutzengeltrupp, von dem wir immer redeten, wenn Jette mal wieder irgendwo runtergefallen war. Und der liebe Gott! Gab es den vielleicht auch nicht? Den Erwachsenen war ja alles zuzutrauen. Den Kindern aber auch: In
Claras Klasse waren welche, die erzählten, Gewitter habe gar nichts mit Gott zu tun. Weder mache er Donnergrollen, weil er böse sei, noch spiele er mit den Engeln Kegeln. Nein, Gewitter käme, wenn kalte mit warmer Luft zusammenstieße. Das habe angeblich auch der Willi gesagt, und der Willi will’s ja immer genau wissen. Dass die Engel in der Frischkäsewerbung aussahen wie Schauspielschülerinnen mit angeklebten Flügeln, machte sie auch eher verdächtig.
Und dann war da noch diese Geschichte mit Adam und der Rippe. »Wenn Gott den Adam und die Eva gemacht hat und das die ersten Menschen waren, wer hat dann den Gott gemacht?«, fragte Jette eines Tages nach dem Kindergottesdienst. Und ich fing an zu schwitzen: Sollte ich jetzt »Keine Ahnung« sagen? Oder »Beim nächsten Mal fragst du den Pastor«? Doch dann kam mir Clara zu Hilfe: »Das war der Urknall!«, sagte sie wie aus der Pistole geschossen. Und ich fand das einen interessanten Ansatz: Der Urknall hat Gott gemacht, und der hat sich dann um den großen Rest gekümmert: die Berge und Seen, die Moral, die Nächstenliebe und darum, dass der moppelige Luca aus der Zweiten beim Sport nicht immer als Letzter in die Mannschaft gewählt wird. Damals dachte ich: Vielleicht sollten wir einen Brief schreiben an all die Naturwissenschaftler und Theologen, die sich darüber streiten, wie die Welt entstanden ist. Sie hätten einen guten Kompromiss und würden aufhören zu zanken.
Wir schrieben dann aber doch nicht.
2010 verliert unser Gott ein Stück vom Heiligenschein
Eigentlich sind wir
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