Ich bin ein Genie und unsagbar böse
ihr überhaupt wählt. Aber das wäre gelogen. Ich will euer Klassensprecher werden! Doch ganz gleich, ob ihr euch für mich oder meinen ausgezeichneten Konkurrenten entscheidet (an dieser Stelle läuft vereinzeltes freches Kichern durch die Reihen), so sollt ihr Folgendes wissen: Falls ich die Wahl gewinne, werde ich für euch kämpfen! Für jeden Einzelnen von euch! Ich werde jeden Tag darum kämpfen, aus dieser Schule einen besseren Ort zu machen! Für uns alle! Das ist die Pflicht eines jeden Menschen, der ein hohes Amt bekleidet. Und dies ist auch meine Pflicht. Während ich auf dieser Bühne stehe, beginnt die verantwortungsvollste und ehrbarste Reise meines Lebens. Man nennt sie auch Demokratie. Und ich
mag vielleicht nicht der beliebteste Junge der ganzen Schule sein, aber lasst mich euch Folgendes sagen: …«
Totenstille.
»Ich liebe die Gale Sayers Middle School!«
Applaus. Hässlicher, donnernder, nicht enden wollender Applaus. Applaus, der bis zur Decke schwillt, von den Wänden widerhallt und wie eine Welle gegen die Bühne brandet. Begeisterte Pfiffe und Jubelschreie. Standing Ovations! Randy nickt demütig und nimmt die gerührten, tief empfundenen Glückwünsche von Mr. Pinckney entgegen, bevor er sich wieder auf seinen Platz setzt. Die Ovationen nehmen kein Ende. Alles brüllt, stampft und klatscht vor Begeisterung.
Und dort, inmitten des Jubelsturms, sehe ich sie . Meine arme Mom sitzt in einer dunklen Ecke der Aula. Sie sieht einsam, verwirrt und niedergeschlagen aus. Sie ist die Einzige, die nicht jubelt - God bless her! Dann wandern meine Augen ein wenig nach links. Und sehen dort jemand, der nicht hier sein sollte.
Jemand, der sich »nicht in der Lage« sah, der Rede seines Sohnes zu lauschen.
Jemand, der nun lauter brüllt, stampft und klatscht als jeder andere in diesem Saal. Jemand, dessen Gesicht vor Freude leuchtet und der jede noch so abgedroschene Phrase, die aus Randy Sparks schwachem kleinen Mund kam, wirklich glaubt.
Jemand, der die Demokratie liebt. Jemand, der an Schülervertretungen glaubt. Jemand, der Randy zujubelt.
Und irgendwas in mir zerbricht.
Kapitel 38
Irrsin
In meinen Ohren ist ein Summen.
Es übertönt alle anderen Geräusche. Ich kann nicht hören, wie Mr. Pinckney die Zuhörer bittet, ihre Plätze wieder einzunehmen. Ich höre nicht, wie er mich ankündigt. Doch ich sehe, wie er mir zunickt und sich wieder auf seinen Stuhl setzt. Und ich spüre, wie sämtliche Augen im Saal auf mich gerichtet sind.
Ich stehe am Rednerpult. Ich kann mich nicht erinnern, aufgestanden und dorthin gegangen zu sein. Ich stehe einfach da, während es in meinen Ohren summt und ich den Blicken der ganzen Welt ausgesetzt bin.
Ich hole mein Manuskript hervor. Es ist eine herzergreifende Rede, die aus idiotischen Allgemeinplätzen und kindischen Gedanken besteht und vor allem die Herzen der Zuhörer erreichen soll. Sie wurde geschrieben, um ihr Mitleid zu erregen.
Ich reiße das Manuskript entzwei. Die beiden Hälften sinken wie sterbende Vögel zu Boden.
»Liebe Mitschüler«, beginne ich. »Geschätzte Lehrer. Verehrte Gäste.«
Wegen des Summens kann ich meine Stimme nicht hören.
»Wir haben heute von der Schönheit des demokratischen Prozesses gehört. Von dem ›Geschenk‹, das wir empfangen, aber auch geben. Mein geschätzter Kontrahent …« An dieser Stelle verneige ich mich tief in seine Richtung. Er glotzt mich an wie ein verwirrtes Tier. »Mein geschätzter Kontrahent hat versprochen, für jeden Einzelnen zu kämpfen, falls er gewählt wird.«
Ich hebe eine Braue.
»Ladys and Gentlemen«, fahre ich fort. »Schüler und Lehrer. Kinder jedes Alters. Jetzt frage ich euch: Wofür will er kämpfen?«
Nun glotzt mich jeder Einzelne im Saal wie ein verwirrtes Tier an.
»Die Absicht hört sich natürlich vielversprechend an. Aber um ehrlich zu sein, gibt es hier nicht gerade viele Möglichkeiten, um seine Kampfkraft zu erproben. Jede wichtige Entscheidung, die unsere Schule angeht, wird von Mr. Pinckney und seinen tüchtigen Helfern getroffen. Und ich gehe noch weiter: Sogar jede unwichtige Entscheidung, die unsere Schule angeht, wird von Mr. Pinckney und seinen Freunden getroffen. Die Wahrheit ist, dass der Schülerrat unserer Schule - der Schülerrat jeder Schule - eigentlich gar nichts tut.
Vielleicht wird der nächste Schülerrat beschließen, einen Kuchenbasar zu veranstalten. Vielleicht wird er auch entscheiden, wem die Einkünfte des Kuchenbasars zugutekommen
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