Ich bin ein Genie und unsagbar böse

gesehen hast? Oder in einem Film?«
    Ich schweige immer noch. Das Dröhnen der Jets wird lauter. Sie sind jetzt sehr nah. Ich spüre den Sog ihrer Düsen an meinem Rücken.
    »Du … du hast die Wahl nicht gewonnen, Ollie.« Mein Vater ist ein Meister der Untertreibung. Sie haben noch nicht einmal ihre Stimmen abgegeben, aber natürlich werde ich die Wahl nicht gewinnen. Ich habe sogar den Plan aufgegeben, sie zu manipulieren . »Du solltest dich an den Gedanken gewöhnen.«
    Hab ich schon. »In Trümmer legen! Zu Kleinholz machen! In Stücke reißen!«
    »Aber du sollst auch etwas anderes wissen … Bleib stehen, Oliver, und sieh mich an.«
    Ich bleibe stehen. Er versucht nicht zu lächeln oder einen anderen Blödsinn zu machen. »Also die Art und Weise, wie du dich verhalten hast … und wie weit du bei dieser Wahl gekommen bist … viele Jungs hätten nicht den Mumm gehabt, das so lange durchzuhalten wie du.«
    Die Jets summen wie ein Heuschreckenschwarm.
    »Vielleicht … vielleicht hatte ich einfach zu viel um die Ohren, um dir genug Aufmerksamkeit … Du hast deine Sache gut gemacht, Ollie, wirklich gut!« Dann zwingt er mich, ihn zu umarmen. Er geht auf die Knie und drückt meinen Kopf gegen seine knochige Schulter.
    Es wäre ganz schön teuer.

    Ich müsste eine Serie von Stromunfällen arrangieren, um sämtliche Videobänder von der Schülerversammlung zu löschen. Ich müsste die FBI-Agenten bestechen, damit sie Pinckney in Ruhe lassen. Wahrscheinlich sind sie längst misstrauisch geworden. Ich müsste im Nachhinein eine zehn Jahre alte Talkshow im Fernsehen fingieren, in der jemand ähnliche Sätze spricht, um den Anschein zu erwecken, ich hätte meine Rede geklaut. Ich müsste die Fernsehprogramme fälschen, damit es so aussieht, als sei die fingierte Talkshow einen Tag vor der Klassensprecherwahl ausgestrahlt worden.
    Das Dröhnen der Kampfjets ist ohrenbetäubend. Sie sind nur noch wenige Kilometer entfernt.
    Daddy klopft mir auf den Rücken. »Weißt du was?«, sagt er. »Irgendwann werden wir zurückblicken und darüber lachen.«
    »Forsan et haec olim meninisse juvabit« 111 , murmle ich.
    »Was hast du gesagt?«, fragt mein Vater mit gerunzelter Stirn. Ich hatte ganz vergessen, dass er auf der Highschool Latein hatte.
    »Nichts«, antworte ich.
    »Ach komm schon! Deine Mom ist zu Hause und backt Zimtplätzchen.« Er umarmt mich noch mal. »Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht feiern sollten. Es erfordert viel Mut, sich für ein solches Amt zu bewerben, sich jedermann zu präsentieren, wie du es getan
hast. Und weißt du was … ich bin stolz auf dich!« Er drückt mich fest an sich. »Ich bin so verdammt stolz auf dich!«
    Ich trete einen Schritt zurück und sehe ihm in die Augen. Er meint es ernst.
    »Kommando zurück!«, murmele ich. »Nicht schießen! Ich wiederhole: nicht schießen! Vielleicht ein anderes Mal.«
    »Was hast du gesagt?«, fragt Daddy.
    »Nichts Wichtiges.«
    Er legt mir den Arm um die Schultern und führt mich nach Hause. Auf der Straße springt uns Lollipop zur Begrüßung entgegen. Über unseren Köpfen ziehen ein paar schwarze Kampfjets dröhnend vorüber und jagen dem Horizont entgegen, bis sie im unendlichen Blau verschwunden sind.

Josh Lieb hat Drehbücher für die Simpsons geschrieben und ist heute Produzent der bekannten und preisgekrönten amerikanischen Comedy-Sendung The Daily Show mit Jon Stewart. Mit seiner Frau Beata und ihrem gemeinsamen Hund Lollipop lebt er in New York. Ich bin ein Genie und unsagbar böse ist sein erstes Jugendbuch.

cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
     
    1. Auflage 2010 © 2009 by Josh Lieb
    Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel »I am a Genius of unspeakable Evil and I want to be your Class President« bei Razorbill/Penguin Group, New York
    © 2010 für die deutschsprachige Ausgabe cbj, München
    Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Aus dem Amerikanischen von Knut Krüger
Redaktion: Ulrike Hauswaldt
Dieses Werk wurde vermittelt durch die
Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

     
    eISBN 978-3-641-04883-9
     
    www.cbj-verlag.de
    www.randomhouse.de