Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin ein Mörder

Ich bin ein Mörder

Titel: Ich bin ein Mörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
Vom Netzwerk:
Ampeln, setzte frühzeitig den Blinker. Dann löschte er die Schweinwerfer und bog von der Adickesallee ab, auf den Besucherparkplatz vor dem Polizeipräsidium. Dort öffnete er die Wagentür und stieß das verschnürte Bündel hinaus auf das Pflaster.
    »Auf Wiedersehen, mein Junge«, flüsterte er, als er sah, dass dieser die Augen öffnete. Dann zog er die Tür ins Schloss und verschwand. Er war sehr stolz auf sich.
    * * *
     
    »Ich wartete. Die Straße war gut präpariert. Er fuhr die Strecke immer zur gleichen Zeit. Eine Kleinigkeit also für mich, genau ihn zu erwischen. Hochgewachsene Buchen zu beiden Seiten. Gleißendes Sonnenlicht, das durch die vom Wind bewegten Blätter unruhige Muster auf den Asphalt zeichnete. Vogelzwitschern. Er konnte das Hindernis hinter der Kurve nicht rechtzeitig erkennen. Eine Biene summte neben meinem Ohr und die Harmonie des Augenblicks war so perfekt, dass ein Vertreter der deutschen Romantik sie mit tränenden Augen besungen hätte. Ein Moment so schwerelos   – würdig eines Eichendorff oder eines Clemens Brentano. Spürte ich ihre längst verwehte Aura? Eher nicht. Ich lachte in mich hinein. Irgendein sentimentaler Mensch wird sich immer an euren Versen erfreuen. Aber ihr seid tot. Und auch ich werde tot sein, eines Tages, und nichts wird von mir bleiben. Und ich fürchte den Augenblick nicht. Die Vergangenheit zählt so wenig wie die Zukunft.
    Es ist kaum möglich zu beschreiben, was in mir vorging, als das Warten vorbei war und das Auto gegen den Baum prallte. Dieses Schleifen, Quietschen, Schreien des sich verformenden Metalls, das Bersten von Glas. Ein wohliger Schauer und zugleich auch Sorge. Er durfte nicht tot sein, ehe ich bei ihm war. Aber wie immer war das Glück, das Schicksal, die göttliche Fügung oder viel eher die Perfektion meiner Berechnungen auf meiner Seite.
    Er lebte. Ich zog ihn aus dem Wagen, schleppte ihn an einen ungestörten Ort, wo wir bequem das Kommende genießen konnten. Seine Stirn blutete und auch die Beine waren in Mitleidenschaft gezogen. Schwer zu sagen, ob ich sein Leben hätte retten können, wenn ich sofort Hilfe gerufen hätte. Müßig darüber nachzudenken. Mein Plan war ein anderer. In seinem Brustkorb klaffte eine große Wunde. Ein Geschenk! Mehrere gebrochene Rippen. Er röchelte, öffnete sekundenlang die Augen. Hübsche Augen. Voller Schmerz und Angst. Ich lächelte. ›Alles wird gut, denn ich bin bei dir.‹ Endlich konnte ich das tun, was meine Vernunft und der Zwang, im Geheimen zu morden, mir bisher verwehrt hatten. Nicht nötig, Spuren zu vermeiden. Ich durfte so viele Haare verlieren und DNA zurücklassen, wie ich wollte. Meine Hände fühlten ihn ohne schützende Handschuhe. Der Ersthelfer am Unfallort, der gute Samariter, der, ohne an die eigene Sicherheit zu denken, mit bloßen Händen Hilfe leistet. Ungeachtet des Blutes und der damit verbundenen Risiken. Wovor sollte ich mich fürchten? Eine tödliche Krankheit. Ein schnellerer Eintritt ins Nichts. Na und? Meine Finger tasteten sich zwischen die Rippen. Nicht groß genug, die Öffnung. Sein Schrei störte kurzfristig meine Konzentration. Animalisch. Animierend. Die Lösung des Problems war einfach. Wiederbelebungsversuche. Niemand konnte das Gegenteil beweisen. Dass er noch atmete, ein unwichtiges Detail. Meine Hände legten sich auf den Brustkorb und ich warf mein ganzes Gewicht auf ihn. Das Krachen der Knochen verschwand beinahe unter seinem neuerlichen Aufheulen. Erstaunlich, was ein Mensch erträgt, wie sehr er sich ans Leben klammert. Als ich nun die gesprengten Knochen beiseite drückte, verlor er das Bewusstsein. Der Weg war frei. Die lebendige, feuchte Wärme seines Körpers nahm mich gefangen. Dann hielt ich den Muskel in der Hand. Noch immer kraftvoll in Bewegung. Eilig pumpend. Hilflos und vergeblich, angesichts der zahlreichen Verletzungen, durch die unaufhaltsam seine Kraft dahin schwand. Wiederbelebungsversuche. Nein, ich ließ nichts unversucht. Zögerte keinen Augenblick, ihn zu beatmen. Sein weicher, frischer Mund, jung und sinnlich, lechzte nach Leben und ging doch unaufhaltsam unter in der Flut seines eigenen Blutes, in dem er schließlich ertrank. Ich schmeckte den Tod auf seinen Lippen, füllte seine Lunge mit meinem Atem, auf das sein letzter Atemzug mein Atemzug wäre. Wieder und wieder. Es dauerte lange. Viel länger, als ich zunächst zu hoffen wagte. Sein Herz zuckte nur noch schwach in meiner Hand, reagierte immer weniger auf die Impulse,

Weitere Kostenlose Bücher