Ich bin ein Mörder
Spalt breit offen. Auch draußen war es dunkel. Mit einem Ruck riss er ihm das Klebeband aus dem Gesicht und kicherte, als er sah, dass der Junge sich die Lippe blutig biss, um nicht zu schreien.
»Gut gemacht. Der Herr wird zufrieden sein. Trink!« Er setzte ihm eine Flasche an den Mund und hielt ihm die Nase zu, bis er mit ersticktem Gurgeln nachgab.
»Schlafe mein Kindlein, schlaf ein«, sang er, kicherte wieder und wartete geduldig, bis Markus das Bewusstsein verlor.
* * *
Es war bereits nach 22 Uhr, als ihr Telefon klingelte. Zweifelnd rieb Alexandra sich die Hände. Abheben oder nicht. Sie wartete, bis der Anrufbeantworter sich zuschaltete.
»Hallo Schwesterlein, ich …«
Aufatmend griff sie zum Hörer. »Bin da!«
»He, du Schlafmütze! Du warst auch schon mal schneller am Rohr. Ich habe ihn vielleicht gefunden. Deinen Vermissten. Also nicht den Menschen, nur eine Akte, die passt. Selbstverständlich ohne Garantie.«
Schlagartig wurde sie munter.
»Dann los, gib mir Details.« Das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, kramte sie nach Zettel und Stift.
»Er wurde seit dem 25.06.2000 nicht mehr gesehen, hat sein Dasein als mittelmäßiger Werbetexter gefristet, ein paar Kurzgeschichten veröffentlicht und Romane geschrieben, die niemand lesen wollte. Keine Familie. Seine Literatur-Agentin hat ihn damals vermisst gemeldet, sie sagte, er hätte etwas Großes vorgehabt. Sie wusste aber nichts Konkretes und äußerte die Vermutung, er habe sich was angetan. Vorher war er mehrfach in Behandlung wegen Alkohol und Depressionen. Klingt nachvollziehbar. Vermutlich hat die große Nummer sich wieder als Flop entpuppt, da ist er ausgetickt. Die Suche wurde nach relativ kurzer Zeit eingestellt. Es gab keinen Hinweis auf ein Verbrechen oder so. Er war einfach nur weg. Wer weiß, wo der hin ist. Lebt vielleicht jetzt illegal am Strand von Mallorca. Dort gibt es haufenweise gescheiterte Existenzen. Zufrieden, Schwesterherz?«
»Ja. Sehr zufrieden. Jetzt fehlen nur noch Name und Adresse.«
»Kai Mertens. Wohnte in Sauerlach in der Nähe von München.«
Ihr Kreislauf sackte ohne Vorwarnung in den Keller.
»Bist du noch da?«
Schwerfällig räusperte sie sich.
»Kannst du den Namen noch mal wiederholen?«
»Kai Mertens.«
Sie schloss die Augen und zählte leise bis zehn.
»Das ist er!«
»Wieso bist du so sicher?«
»Ich kenne den Namen. Hatte er ein Haus mit Garten?«
»Keine Ahnung.«
»Ich fürchte, er ist nicht auf Mallorca. Obwohl ich es ihm wünsche.« Mir. Ich wünschte mir, er wäre wohlbehalten und munter irgendwo am Strand. Sie trommelte mit dem Kugelschreiber auf das Blatt Papier.
»Okay, was brauche ich noch? Die Agentin, hat die auch einen Namen?«
»Sicher. Habe ich irgendwo. Ich schicke dir die Daten der beiden per E-Mail. Sagst du mir jetzt, was los ist?«
»Wenn ich Genaueres weiß. Ist noch zu früh.«
»Du klingst besorgt.«
»Nein. Es ist nichts.«
»Mach keine Dummheiten, Schwesterchen. Ich frage nicht weiter und verlasse mich auf deinen Instinkt.«
»Bist ein Schatz! Kommst in mein Nachtgebet.«
»Seit wann betest du?«
»Heute Abend fang ich an.«
* * *
Er hatte ihn in sein Auto gebracht und ausgezogen. Wie der Herr es befohlen hatte. Die Farbe trocknete schlecht und roch unangenehm. Es würde lange dauern, sie abzuwaschen. Sehr lange. Man würde dem Jungen die Haut wund scheuern müssen. Schmerzhaft. Als wollte man sie ihm bei lebendigem Leibe abziehen. Er kicherte.
Der Herr hatte ihn gelobt. Gelobt! Weil er den Jungen gefangen hatte. Erst schimpfte Er , dann lobte Er . Weil es dieser war. Dieser und kein anderer.
Er hatte gründlich nachgedacht und es diesmal richtig gemacht. Bald schon sollte er erlöst werden. Erlöst von der quälenden Dunkelheit. Für immer ein Teil des Lichts sein. Ganz seinem Herrn gehören. Er drehte den Jungen um und vollendete sein Werk. Der bedauernswerte Kerl sah seinem Vater sehr ähnlich. Klein und dick, mit unansehnlichem blondem Haar. Sein Pech. Das hatte den Ausschlag gegeben. Blaupause.
Den Mund hatte er ihm wieder zugeklebt. Es war sicherer so. Auch wenn er immer noch schlief. Ein Teil der Farbe trocknete auch an seinen eigenen Händen. Das machte nichts. Auch nicht die Spuren im Auto. Wichtig war nur, dass es keine Spuren gab, die ihn mit dem Meister verbanden. Das war ihr Geheimnis. Niemand sollte davon erfahren. Er startete das Fahrzeug und fuhr in gemäßigtem Tempo durch die Stadt, wartete ordentlich an den
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