Ich bin ein Mörder
geregelter Ablauf, Routine, die man irgendwann im Schlaf beherrscht. Irgendwie gemütlicher. Du kennst das ja, man hat so seine Spezis, die einem immer wieder unterkommen. Nur ganz selten ist mal was wirklich Schlimmes passiert.«
Diskret schaute Mischa zur Uhr. Drängeln wollte er nicht. Er kannte Walter inzwischen gut, den brachte so schnell nichts aus dem Konzept. Wahrscheinlich war es ihm langweilig, seit er in den Ruhestand gegangen war. In Mischas Kopf rumorte es immer heftiger, während Walter mit Begeisterung die Bilder seines vergangenen Arbeitslebens heraufbeschwor. Routine. Täglich wiederkehrende Rituale. Mischas Zunge klebte staubtrocken am Gaumen. Ein merkwürdig metallischer Geschmack. Wie Alufolie zwischen den Zähnen. Er blinzelte, trank hastig einen Schluck Wasser und versuchte wieder, Walters Ausführungen zu folgen.
»Wir haben also seinerzeit nicht mehr zusammengearbeitet. Aber privat haben wir uns oft gesehen. Conrad hat sich geradezu in den Fall verbissen. Er war besessen von der Idee, es könnte Mord gewesen sein und der Täter käme ungeschoren davon. Wobei er mir nie klar machen konnte, warum eigentlich. Aber das ist heute noch sein Problem: Er nimmt die Arbeit zu persönlich.«
Kein Wunder bei dem Job. Mischa zog mit dem Autoschlüssel die Muster auf der Tischdecke nach. Er fand die normalen Leichen schon schlimm genug, mit denen er es manchmal zu tun bekam. Unfallopfer, Junkies, Alte, die unbemerkt in ihrer Wohnung verstarben. Das steckte keiner einfach so weg. Aber Mord war noch ein ganz anderes Kaliber.
»Hast du zufällig noch mehr Fakten im Kopf, den Namen oder das Datum?«
»Jetzt überschätzt du mich aber! Nach achtzehn Jahren.« Walter klopfte die Asche in den Blumenkasten und legte mit konspirativem Augenzwinkern einen Finger an die Lippen. Mischa konnte sich denken, dass seine Frau auch das nicht mochte. »Obwohl, warte mal – der Tote hieß Diefenbach. Genau wie mein Klassenlehrer in der Grundschule!« Er schloss das Fenster, stellte die Topfpflanzen zurück an ihren Platz und zog den Vorhang zurecht.
»Alle Spuren beseitigt«, freute er sich.
»Es muss irgendwann im Sommer passiert sein«, versuchte Mischa ihm weiter auf die Sprünge zu helfen.
»Sommer? Unsinn! Oder du meinst doch einen anderen Toten. Nein, der einzige ungeklärte Fall, an den ich mich erinnere in dieser Zeit und im Zusammenhang mit Conrad, da starb einer in eisiger Kälte. Muss kurz vor Weihnachten gewesen sein. Aber wegen der Details fragen wir am besten Ella, wenn du Conrad nicht selbst fragen willst. Die sitzt heute noch im Archiv.«
Dankbar nickte Mischa. Dass Walter nicht nach seinen Gründen fragte, kam ihm sehr entgegen. Es sei wichtig und ein bisschen heikel, mehr hatte er nicht sagen müssen.
»Ich rufe sie gleich an. Ein tolles Mädchen, die Ella. Bildhübsch, blutjung, na ja, vor fünfunddreißig Jahren, als ich sie zum ersten Mal traf. Und stur wie meine kleine Alexandra.« Walter Müller kramte in seinem Adressbuch. »Wo steckt sie überhaupt? Warum hast du sie nicht mitgebracht?«
Alexandra. Wieder schoben sich Gedanken in Mischas Kopf, die er nicht denken wollte. Glücklicherweise interessierte Walter Müller sich nicht mehr für die Antwort, als er die Telefonnummer gefunden hatte.
* * *
Das Lied verfolgte Alexandra, seit Mischa es im Streifenwagen gesummt hatte, es schwirrte durch ihre Gedanken wie eine lästige Mücke. Mit kritischem Blick drehte sie sich vor dem Spiegel der Einkleidungsstation.
Ganz in Blau. Ungewohnt der neue Stoff auf der Haut, aber bequem. Wesentlich angenehmer in der Passform als die alte Uniform. Mit einem tiefen Seufzer gestand sie sich ein, dass sie Veränderungen hasste. Auch wenn sie sie herbeigesehnt hatte. Wie die neue Uniform. Wie ihr neues, abwechslungsreiches Leben. Aber genau jetzt hätte sie am liebsten einen Rückzieher gemacht. Es war nur ein Bündel Fasern in Schlammgrün, von dem sie sich trennen musste. Das europäisch harmonisierte Blau breitete sich schnell aus. Bald würden alle Kollegen versorgt sein und das blau-grüne Durcheinander wäre beendet. Bis zum Jahresende sollte kein Fetzchen Grün mehr übrig bleiben.
Aber Grün passt besser zu meinen Augen. Genauso, wie mein langweiliges Sofaleben vor Tobias besser zu mir gepasst hat.
Schweren Herzens packte sie die neuen Kleidungsstücke zusammen und beobachtete, wie der Scanner den Rechnungsbetrag von ihrem Kleiderkonto abbuchte.
Es summte schon wieder in ihr. Sie brauchte
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