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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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Haweya und ich ihn ernst nahmen und seine Autorität anerkannten, musste er körperliche Gewalt einsetzen. Das hielten wir für ganz normal. Alle meine Schulfreundinnen hatten Angst vor ihren Brüdern und Vätern. Wir tuschelten untereinander über die verschiedenen Strafen, die es bei uns gab. Es waren durchweg Körperstrafen.
    In der Schule hatten auch die Lehrer das Recht, uns zu züchtigen. In meiner Klasse benutzte Mrs. Nziani eine Schwarze Mamba, wie sie sagte, einen harten schwarzen Schlauch. Der Schmerz hing davon ab, wo sie einen traf und wie heftig sie zuschlug. Als Rechenlehrerin brachte sie uns richtiges Rechnen bei, indem sie uns für jedes falsche Ergebnis einen Schlag auf den Kopf gab. Das war ihre Lieblingsmethode. Manchmal hatte ich nur fünf von dreißig Rechenaufgaben richtig gelöst. Also bekam ich fünfundzwanzig Schläge mit dem Schlauch.
    Manche Lehrer bevorzugten die Methode mit Bleistift und Lineal. Ein Bleistift wird so unter Zeige- und Ringfinger durchgeschoben, dass er den Mittelfinger nach unten drückt. Dann schlägt der Lehrer mit dem Lineal so fest wie möglich auf die Knöchel der Finger, die den Bleistift halten.
    Mobbing war ebenfalls gang und gäbe an der Schule. Manche ältere Kinder taten sich gegen jüngere Schüler oder schwächere Altersgenossen zusammen. Sie bildeten einen Kreis um das arme Kind und prügelten ihm dann die Seele aus dem Leib. Es gab Zeiten, in denen ich glaubte, Kinder seien grausamer als Erwachsene. Jede Woche hielten uns die Lehrer Vorträge, warum Mobbing schlecht sei und dass die Täter bestraft würden – gewaltsam, versteht sich –, wenn man sie erwischte.

    Die Gewalt verfolgte mich anscheinend regelrecht. Anfang 1989 beschloss die kenianische Regierung, eine große Razzia durchzuführen und illegale somalische Einwanderer aus Kenia abzuschieben. In der Praxis hieß das, dass die Polizei jeden, der wie ein Somali aussah, anhalten und den Ausweis verlangen sollte. Wer keinen hatte, kam in eine Polizeizelle. Meine Mutter und ich gingen in ein Viertel namens Pangani, um mir einen Pass zu kaufen, zu Fuß fünfundzwanzig Minuten von unserem Viertel an der Park Road entfernt. Wir verließen das Haus ohne Ausweise und wurden, wie könnte es anders sein, von zwei Polizisten angehalten. Möglicherweise hätten sie uns laufen lassen, wenn wir ihnen das Geld für unsere Einkäufe gegeben hätten. Stattdessen beschloss Ma, ihren Prinzipien treu zu bleiben, und weigerte sich, sie zu schmieren. Wir wurden auf die Polizeiwache von Pangani gebracht, wo wir zwei Nächte bleiben mussten. Die Bedingungen dort waren zwar unbeschreiblich (Betonboden, Urin und Exkremente auf dem Boden und rund vierzig Personen in einer vier mal fünf Meter großen Zelle), aber immerhin tat man uns nichts zuleide.
    Allerdings musste ich in diesem Gefängnis die schrecklichste Grausamkeit mit ansehen. Kenianer, die man überwiegend kleiner Vergehen wie des Diebstahls von Ersatzreifen beschuldigte, wurden in die Zelle gebracht. Fünf uniformierte und bewaffnete Polizisten trommelten auf einen angeblichen Kriminellen ein. Sie traten ihn mit ihren schweren Stiefeln gegen den Kopf, in den Unterleib und auf die Gliedmaßen. Es war ein grässlicher Anblick, und das Krachen des Knochens, als die Kniescheibe zertrümmert wurde, werde ich nie vergessen.
    In Kenia war das die am weitesten verbreitete Form staatlicher Gewalt. In allen Ländern, in denen ich vor meiner Auswanderung in den Westen gelebt habe, war der Einsatz von Folter und Körperstrafen so normal, dass die Menschen sich wunderten, wenn jemand sie infrage stellte. Die Gewöhnung an Gewalt bringt große Probleme mit sich, wenn Menschen aus solchen Gesellschaften in den Westen ziehen, wie ich schon bald feststellte.

    Meine Tätigkeit als Dolmetscherin führte mich häufig in holländische Gerichte und Gefängnisse. Bei fast allen Fällen ging es um Tätlichkeiten und Mord. Die Täter waren ausnahmslos Männer. In einem Fall hatte ein Mann über Monate seine Miete nicht bezahlt. Eines Tages kam der Vermieter, verlangte das Geld und drohte dem somalischen Mieter mit Räumung. Als Antwort ging der Somali in die Wohnung, packte einen dicken Holzstab und schlug den Vermieter mit aller Kraft auf den Kopf. Das Opfer überlebte, aber der Schlag war so stark, dass der Somali des versuchten Mordes angeklagt wurde. Vor Gericht leugnete er anfangs, den Vermieter überhaupt geschlagen zu haben, dann gab er ihm die Schuld daran, dass er die Nerven

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