Ich bin eine Nomadin
Somalis in Verdacht, al-Qaida zu unterstützen.«
»Ich will nicht über Geld reden«, sagte meine Mutter. »Allah gibt Leben und Nahrung und nimmt es. Ich will mit dir über Allah reden. Er sorgt für mich. Er hat in der ganzen Zeit, seit du weg bist, für mich gesorgt. Ich will, dass du mir zuhörst. Hörst du zu?«
Gehorsam bestätigte ich, dass ich zuhörte, obwohl ich mir auf die Lippen beißen musste.
»Mir missfällt, dass du deinen Glauben an Allah aufgegeben hast. Weißt du noch, als wir in Somalia waren und du Fieber bekommen hast? Du hattest Malaria. Ich dachte, ich würde dich verlieren. Ein paar Monate vorher hatte ich Kuman verloren, deine Schwester. Ich war verzweifelt, wollte dich unbedingt behalten und betete zu Allah. Und er ließ dich am Leben. Und weißt du noch, am Flughafen von Dschidda, als dein Vater nicht kam, uns abzuholen? Ihr Kinder wart damals noch zu klein, um das zu begreifen, aber die Saudis hätten uns fast wieder nach Somalia zurückgeschickt. Dort hätte man unsere Flucht entdeckt und uns alle hinter Gitter gesteckt. Ich betete zu Allah, bat ihn um Erbarmen. Ich begriff, dass er mich auf die Probe stellte, und verlor nie den Glauben an ihn.«
Ich wollte schon erwidern, unsere gelungene Flucht aus Somalia sei der zwar Furcht einflößenden, aber unfähigen saudischen Bürokratie und dem schieren Glück zu verdanken gewesen. Nur diese weltlichen Faktoren hatten uns davor bewahrt, geschnappt zu werden – nicht etwa ihre einseitige Unterhaltung mit Allah. Doch ich biss mir nur weiter auf die Lippen und sagte: »Mhm, ja, Mutter.«
»Erinnere dich an unser Leben in Äthiopien: Du und Mahad, ihr wart eines Tages verschwunden, und alle Somalis prophezeiten, dass die Äthiopier euch in lauter kleine Stücke hacken würden. Ich habe die ganze Nacht gebetet, und man hat euch gesund und munter zurückgebracht. In diesen schlimmen Stunden der Verzweiflung habe ich nie den Glauben an Ihn verloren.«
Ich konnte mich noch gut an Mas Vorurteile gegen die Äthiopier erinnern. Auch nachdem sie uns wohlauf zurückgebracht hatten, erhielt sie sich ihre Engstirnigkeit. Bitte komm zum Punkt, dachte ich bei mir.
»In Äthiopien habe ich ein totes Baby zur Welt gebracht. Ich weinte und überstand das alles, ohne meinen Glauben an den Schöpfer und Bewahrer zu verlieren.«
»Mhm.« Weil du immer überlebst, Ma. Und dein Glaube hat dir beim Überleben geholfen, ohne Zweifel. Du hast aus deinem Glauben an Allah Kraft bezogen, aber er hat dich auch blind gemacht für Chancen, die du hattest und nie ergriffen hast.
»Ich bin mit euch drei in Kenia gestrandet. Dein Vater hat mich mittellos in der Fremde zurückgelassen. Ich habe die Erniedrigung, die er mir durch seine Abwesenheit beibrachte, hingenommen. Ich habe mit ansehen müssen, wie dein Bruder die Schule abbrach. Ich habe die Nachrichten aus meiner Heimat verfolgt und gehört, dass Verwandte in Somalia von Siad Barre umgebracht wurden. Ich bin krank geworden, musste es verkraften, dass ich meine Heimat verlor, habe mit angesehen, wie meine jüngste Tochter verrückt wurde, musste die Schande ertragen, die du über mich gebracht hast. Ich habe es ertragen, dass du fort warst und dich nicht gemeldet hast, und jetzt sitze ich hier mit leeren Händen. Mein einziger Sohn ist mir keine Stütze. Ihr alle habt mich im Stich gelassen. Am Bein habe ich offene Wunden, aus denen Flüssigkeit sickert, es ist weder Blut noch Wasser. Es juckt. Ich kann nicht schlafen. Aber nicht ein Mal habe ich den Glauben an Allah verloren.«
Ich wollte sagen: Ma, Abeh ist gegangen, weil ihr beide nicht zusammengepasst habt. Mahad hast du so verwöhnt, dass er zu einem schwächlichen Muttersöhnchen geworden ist, das in Angst vor seinem Vater aufwuchs. Und Haweya hast du systematisch geschlagen und beschimpft. Du warst dogmatisch und gleichgültig. Der Glaube an Allah hat damit gar nichts zu tun. Du und deine Entscheidungen sind für dein erbärmliches Leben verantwortlich, aber du hast immer anderen die Schuld gegeben.
Dieser innere Ausbruch meiner aufgestauten Wut überraschte mich selbst. Doch ich sagte nur: »Ja, Mutter.«
»Wir werden unserem Schöpfer gegenübertreten«, fuhr meine Mutter fort. »Auch du wirst sterben.«
»Ja, Mutter«, murmelte ich und dachte dabei an die Worte des britischen Philosophen Bertrand Russell: Wenn ich sterbe, werde ich verrotten.
»Dann sag mir«, fuhr sie fort, und ich wusste, dass sie mit den Tränen kämpfte – immerhin war ich
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