Ich bin eine Nomadin
Lehre, dass es für mich einmal mehr an der Zeit war, meine Sachen zu packen und weiterzuziehen. Deshalb verließ ich Holland nicht lange nach dem Wirbel um meine Staatsbürgerschaft. Als sei der Verlust der Staatsbürgerschaft nicht genug, hatten meine Nachbarn in einem Gerichtsverfahren durchgesetzt, dass ich mein Heim verlassen musste, weil mein Personenschutz als störend empfunden wurde und die Morddrohungen gegen mich auch für sie eine Gefahr darstellten. Somit war ich nicht nur staatenlos, sondern auch heimatlos. Statt als Helferin bei der Lösung der Probleme wahrgenommen zu werden, die durch die großen Einwanderungswellen in die holländische Gesellschaft entstanden waren – worum ich mich eigentlich bemüht hatte –, erschien ich auf einmal als Teil des Problems.
Genau genommen hatte ich schon vor Ritas Vorstoß Möglichkeiten erkundet, aus reinem Selbsterhaltungstrieb die Niederlande zu verlassen. In diesem Land war ich so bekannt, dass es für mich gefährlich wurde. Schon früher in dem Jahr hatte ich mich dazu entschlossen, in die Vereinigten Staaten zu ziehen, wo ich meiner Meinung nach mehr Freiheit genießen würde. Ich hatte eine Freundin – eine ehemalige US-Diplomatin, derzeit Professorin – gebeten, mir bei der Suche nach einem Job zu helfen. Für die Frühjahrspause im Parlament hatte ich bereits eine Amerikareise geplant, um für eine Aufsatzsammlung (The Caged Virgin) zu werben, die ich unlängst veröffentlicht hatte. Meine Freundin hatte prompt vorgeschlagen, mich mit Menschen bei Denkfabriken unterschiedlicher Richtungen an der Ostküste bekannt zu machen, unter anderen in der Brookings Institution, bei RAND, Johns Hopkins, in Georgetown und an der George Washington University.
Meine Gesprächspartner waren alle überaus höflich, aber ihre Unterstützung für mich und meine Ideen kam mir eher zögerlich vor. An der Brookings Institution schien der Mann, der mich befragte, vor allem besorgt, dass ich arabische Muslime kränken und damit eine Reihe von Programmen vereiteln könnte, die sie unlängst in Doha, Katar, gestartet hatten. Dann brachte meine Freundin mich zum American Enterprise Institute. Die Rolle amerikanischer Denkfabriken wie des AEI wird häufig missverstanden. Wie ihre Gegenstücke in liberalen oder linken Einrichtungen wie Brookings oder CATO Institute machen die Experten des AEI nicht Politik, sondern veröffentlichen ihre Ansichten zur Politik. Diese Ansichten sind häufig sehr widersprüchlich. Im Lauf der Jahre habe ich jedoch viele Menschen in den Medien getroffen, die das AEI als einen erzkonservativen Club ansehen, dabei halte ich mich keineswegs für konservativ. (Und zwar aus den gleichen Gründen, wie sie Friedrich Hayek überzeugend in Die Verfassung der Freiheit darlegte: Vor allen Dingen möchte ich nicht den Status quo bewahren, sondern ihn ändern, von Grund auf.) Deshalb ging ich mit gewissen Vorbehalten zum AEI.
Zu meiner Überraschung boten sie mir auf Anhieb volle Unterstützung an. Wir diskutierten überhaupt nicht darüber, was ich sagen durfte und was nicht. Ich wurde eindringlich aufgefordert, empirische Daten zu präsentieren und schlüssig zu argumentieren sowie mir Gedanken über die Vor- und Nachteile meiner Vorschläge zu machen. Ich erkundigte mich, ob meine Befürwortung von Abtreibung und den Rechten Homosexueller ein Problem werden könnte. Christopher DeMuth, der Präsident des AEI, antwortete, es stehe mir frei, jede beliebige Meinung zu vertreten. Ich dürfe ohne Einschränkung alles denken, sagen und schreiben.
Damit lernte ich eine zweite politische Lektion, wohl meine erste in den Vereinigten Staaten: Amerikanische Liberale tun sich allem Anschein nach mit meiner Kritik an der Misshandlung von Frauen im Islam schwerer als die meisten Konservativen. Statt für westliche Freiheiten und gegen totalitäre, islamische Glaubenssysteme zu kämpfen, treten viele Liberale verlegen von einem Fuß auf den anderen und blicken zu Boden, wenn man kulturelle Unterschiede anspricht. Ich begriff allmählich, dass das Wort »liberal« zweierlei bedeuten kann, je nachdem, auf welcher Seite des Atlantiks man lebt. Was die Europäer links nennen, wird in Amerika verwirrend als »liberal« bezeichnet, die Liberalen in Europa hingegen sind das, was Amerikaner heute »Classical Liberals« nennen: Sie setzen sich für den freien Markt, die Achtung der Eigentumsrechte, einen Rechtsstaat, die Begrenzung der Staatsmacht und die Verantwortung des
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