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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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Einzelnen ein. Europäische Konservative unterstützen diese Programmpunkte ebenfalls. Aber amerikanische Konservative fügen mit großer Wahrscheinlichkeit eine Liste gesellschaftlicher und kultureller Wertvorstellungen hinzu, die mit ihrem christlichen Glauben zusammenhängen. Obwohl ihre Vorgänger einst für die Rechte der Arbeiter, die Rechte der Frauen und die Rechte der Schwarzen gekämpft haben, scheuen sich amerikanische Liberale heute, ihre Stimme gegen die Verweigerung von Menschenrechten im Namen des Islam zu erheben. Deshalb lehnte Brookings meine Bewerbung ab, das AEI hingegen akzeptierte sie.
    Nach unserem ersten Treffen 2006 lud Chris DeMuth mich ein, im September als Gastdozentin beim AEI anzufangen. Als Rita Verdonk mir auf einmal meinen holländischen Pass wegnahm, war dieses Angebot noch nicht offiziell bestätigt worden: Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, das Kuratorium des AEI zu befragen. Aber ich konnte auf keinen Fall Abgeordnete bleiben, weil ich nicht mehr holländische Staatsbürgerin war. Am Vormittag der Pressekonferenz, bei der ich meinen Verzicht auf den Parlamentssitz bekannt geben wollte, erhielt ich einen Anruf von der Tageszeitung Volkskrant: Stimmte es, dass ich ausgerechnet eine Stelle beim AEI annehmen wolle?
    Ich konnte die Frage nicht beantworten. Ich wusste nicht, ob das AEI jetzt womöglich sein Angebot zurückziehen würde. Ich rief Chris an und sagte ihm, dass ich von Reportern belagert würde und ihnen eine Antwort geben müsse. Er vertröstete mich, dass er zuerst mit den Kuratoriumsmitgliedern Rücksprache halten müsse, ehe ich offiziell meinen neuen Job mitteilen könne. Mir sank der Mut, weil ich davon ausging, dass das Kuratorium bestimmt sagen würde: »Warum sollten wir einen Skandal importieren?« Aber nur eine halbe Stunde später rief Chris zurück und sagte, ich sei am 1. September im AEI willkommen.
    Als die holländischen Zeitungen schrieben, ich hätte die Absicht, zu dieser Denkfabrik zu wechseln, warnten mich viele Menschen, ich sei im Begriff, den größten Fehler meines Lebens zu machen. Sie hatten sich über Google über das AEI informiert und teilten mir mit, das sei ein Ort des Bösen: ein Hort der Neokonservativen, die sich verschworen hatten, Bush ins Präsidentenamt zu bringen und den Irakkrieg vom Zaun zu brechen. Warum um alles in der Welt wollte ich mit solchen Leuten gemeinsame Sache machen? Ich erwiderte ihnen, nachdem ich soeben meine Heimat, meinen Lebensunterhalt und um ein Haar meine Staatsbürgerschaft verloren hätte, würde ich es riskieren und wieder einmal auf die Liebenswürdigkeit wildfremder Menschen vertrauen.
    Ich war eine öffentliche Person. Vor meiner Abreise aus den Niederlanden wurden drei Abschiedspartys veranstaltet, weil mindestens hundertfünfzig Menschen erklärten, sie zählten sich zu meinen besten Freunden. Einige Ansprachen meiner Freunde entschädigten mich beinahe für den Schmerz, den ich empfand. Sie erinnerten mich daran, dass es zumindest noch einige Menschen in Holland gab, die nicht nur mit mir einer Meinung waren, sondern die hinter mein nonkonformistisches Auftreten blickten. Ich war tief gerührt und merkte erneut, warum ich das Land, das ich nun verlassen würde, so sehr liebte.
    Ich stamme aus einer Politikerfamilie, und ich habe immer gewusst, dass in der Politik die Dinge oft nicht so sind, wie sie scheinen. Verglichen mit meinen Erlebnissen in Somalia, Äthiopien, Saudi-Arabien und Kenia fiel meine Konfrontation mit der Macht in den Niederlanden sehr milde aus. Ich wurde weder gefoltert noch ins Gefängnis gesteckt.
    Tatsächlich fand eine Abschiedsparty sogar direkt im Parlamentsgebäude statt, und einige meiner schärfsten Kritiker nahmen daran teil. Nach holländischer Sitte bekam ich von jedem Gast ein kleines Geschenk und drei dicke Küsse auf die Wange. Es war ein sehr einmütiger Abschied.
    Und ich war wieder Nomadin.

Kapitel neun
AMERIKA
    Ein paar Tage später wachte ich in einem Hotel in Washington auf und zog mich für meinen ersten Arbeitstag beim American Enterprise Institute an. Doch das Bürogebäude war geschlossen: Labor Day, Tag der Arbeit. Das erste Heimweh stellte sich mit der Erkenntnis ein, dass der Tag der Arbeit hier nicht am 1. Mai begangen wird wie in ganz Europa, sondern am ersten Montag im September. Ich musste noch viel lernen.
    Es war nicht nur ein neuer Job, es war ein neues Land – mit einer anderen Kultur, anderen Feiertagen, einer anderen Geschichte. Sogar die

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