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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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mir aus Kenia so vertraute englische Sprache kam mir in den Straßen des District of Columbia fremd vor. Ob ich hier jemals Fuß fassen würde?
    Ich ging ins Hotel zurück und dachte darüber nach. Das erstaunlichste Merkmal Amerikas ist die ethnische Vielfalt, das war mir schon im Frühjahr bei meinem Besuch in New York als Erstes am Flughafen aufgefallen. Wohin ich ging, sah ich Afrikaner, Asiaten, Hispanos und mehr ethnische Mischungen, als ich mir vorstellen konnte. Außerdem fiel mir auf, wie positiv sie über die Vereinigten Staaten dachten. Einwanderer sprachen ganz offen darüber, wie froh sie doch seien, in dieses Land gekommen zu sein, und dass sie nicht die Absicht hätten, nach Hause zurückzukehren, weil Amerika ihren Kindern Möglichkeiten biete, die in ihrem Herkunftsland undenkbar seien. Das war etwas ganz anderes als die ständigen Klagen über die Niederlande, die ich von den Einwanderern dort für gewöhnlich zu hören bekam, die ihr Geld nach Hause schickten und kulturell und emotional über Generationen Ausländer blieben.
    Anders als viele Einwanderer in den Niederlanden sprach ich, als ich in die Staaten einreiste, bereits die Sprache meines neuen Landes und kannte schon ein paar Menschen. In meinem Reisepass hatte ich ein Visum für Personen mit »besonderen Talenten«, die für die Vereinigten Staaten »unverzichtbar« waren: ein Visum für »außergewöhnliche Ausländer«. Mir gefiel die Formulierung, aber ich fragte mich: Welche besonderen Talente hatte ich eigentlich? Dieses Visum bedeutete, dass mir ein reibungsloser, privilegierter Zugang in dieses Land gewährt wurde, in das viele Menschen um alles in der Welt gelangen wollen. Andere Einwanderer müssen einen weit mühsameren und langwierigeren Einreiseprozess über sich ergehen lassen.
    Ich sagte mir, dass ich dieses Visum verdient hätte. Man hatte es mir ausgestellt, weil ich eine Muslimin war, die einen Weg zu Freiheit und Unabhängigkeit gefunden hatte und die sich aktiv für die demokratischen Ideale einsetzte.
    Beim AEI fühlte ich mich sehr schnell heimisch. In meiner ersten Woche in Washington wurde ich einem Mann vorgestellt, den ich schon lange kennenlernen wollte: Charles Murray, der 1994 mit anderen zusammen das Buch The Bell Curve geschrieben hatte. Zu der Zeit, als das Buch erschien, hatte ich noch an der Universität von Leiden studiert, wo anscheinend jeder über dieses furchtbar rassistische Buch sprach, das behauptete, Schwarze seien genetisch bedingt nicht so intelligent wie Weiße. Ich las es natürlich auch und stellte fest, dass es das Gegenteil von rassistisch war: ein mitfühlend geschriebenes Buch über die urbanen Herausforderungen, denen Schwarze weit stärker als Weiße ausgesetzt waren. Alle Schwarzen sollten es lesen.
    Als ich Murray sah, konnte ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass sogar sein Kopf wie eine exakte Glockenkurve geformt war. Bei der Begrüßung erwähnte ich, dass ich seinen Namen von seinem Buch her kannte. An diesem Punkt biss er die Zähne zusammen und wappnete sich zweifellos für einen neuerlichen Angriff einer beleidigten Schwarzen. Als ich ihm aber sagte, wie gut mir das Buch gefallen habe, lächelte er breit und völlig perplex. Wir wurden auf Anhieb Freunde.
    Ungeachtet meiner anfänglichen Bedenken und der Vorurteile meiner holländischen Freunde gegenüber dem AEI waren meine Dozentenkollegen ebenso belesen wie zuvorkommend. Sie waren alles andere als dogmatische Kriegstreiber und zeigten sich durchaus imstande, die Bush-Administration zu kritisieren. Chris DeMuth erwies sich als ein Mann von außergewöhnlicher Verstandesschärfe und breitem Wissen, der zielsicher Fragen zum iranischen Atomprogramm, aber auch zur Krise des Feminismus stellte.
    Das Hauptaugenmerk des AEI liegt auf der Wirtschaft, und die wesentlichen Grundsätze, über die sich die Experten im Großen und Ganzen einig scheinen, sind die Verantwortung des Einzelnen und die Begrenzung der Rolle des Staates. Die Arbeit am AEI hatte wenig mit der Arbeit für die Denkfabrik einer politischen Partei in Europa zu tun, wo alle dauernd damit beschäftigt sind, Wahlen vorzubereiten und Kontroversen zu vermeiden. Ich konnte schreiben, lesen, nachdenken und an von anderen Dozenten geleiteten Diskussionen teilnehmen; die Themenpalette reichte von der nationalen Sicherheit über Religion, Genforschung, Gesundheitsversorgung, Klimaerwärmung bis zu Entwicklungshilfe für andere Länder.
    Zu den Freuden meines neuen Lebens

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