Ich bin eine Nomadin
Narkose, in Rotterdam und Utrecht auf dem Küchentisch beschnitten wurden.
Es leben bereits unzählige genital verstümmelte Frauen und Mädchen in den Vereinigten Staaten, und noch vielen droht das gleiche Schicksal. Wenn wir den Kulturkreis betrachten, den ich am besten kenne, den somalischen, können wir sagen: Kaum eine somalische Familie wird auf die Beschneidung ihrer Töchter verzichten, egal wo sie leben. Bis auf sehr stark assimilierte Eltern wollen alle ihre Kinder innerhalb der somalischen Gemeinde verheiraten, und sie sind der Meinung, dass ein »unreines« Mädchen, ein Mädchen mit intakter Klitoris und Vagina, keinen Mann finden wird. Manche führen vielleicht nur die »schwächere« Beschneidung durch und verstümmeln »nur« die Vorhaut der Klitoris, aber die meisten werden es genauso machen, wie es unsere Väter (und Mütter und Großmütter) immer gemacht haben: Sie werden die Klitoris abschneiden und die Schamlippen beschneiden, sodass die Vagina durch die Vernarbung verengt oder geschlossen wird, gewissermaßen eine Art »körpereigenen« Keuschheitsgürtel bildet. Dafür brauchen sie nicht unbedingt nach Afrika zu fliegen. Jede somalische Gemeinschaft hat Mitglieder, die diese »Dienstleistung« vor Ort anbieten, oder kennt zumindest jemanden in der Nähe, der weiterhelfen kann. Es gibt bereits muslimische Schulen in Amerika, wo Mädchen den ganzen Tag über lernen, gehorsam zu sein und die Augen niederzuschlagen und sich zu verschleiern, als Symbol für die Unterdrückung ihres Willens. Sie werden gelehrt, die Überlegenheit des Mannes zu verinnerlichen, und betreten die Moschee ganz leise durch eine Hintertür. Auf Koranschulen lernen Mädchen am Wochenende, dass Gott ihnen gebietet zu gehorchen, dass sie weniger wert sind als Jungen und vor Gott weniger Rechte haben. Das geschieht auch in den Vereinigten Staaten.
Aber in einem Punkt blieben meine Zuhörer stets unerbittlich: Ehrenverbrechen, also Prügel und sogar Mord zur Strafe für die Tochter oder Schwester oder Ehefrau, die mit ihrer »Verfehlung« der ganzen Familie Schande bereitet hat – so etwas war in den Vereinigten Staaten, im Land der Freiheit, vollkommen ausgeschlossen.
Als Neuankömmling in dem Land hatte ich keine Ahnung, ob das stimmte. Aber ich sollte schon bald herausfinden, dass auch dieser Aspekt der gestörten Kultur des Islam bereits in Amerika Einzug gehalten hatte.
Obwohl ich viele Amerikaner mit meinen Erzählungen von institutionalisierter islamischer Frauenfeindlichkeit aufrüttelte, ließ mir doch die Befürchtung keine Ruhe, dass ich sie womöglich lediglich dazu brachte, mich zu bemitleiden. Dabei wollte ich in meiner Autobiografie vor allem darlegen, dass ich außerordentliches Glück gehabt hatte. Es war mir gelungen, aus der Welt der Dogmen und Unterdrückung auszubrechen und in das Licht der Unabhängigkeit und Gedankenfreiheit zu wechseln. Ich war entkommen, und in jeder Phase meiner Flucht wurde ich von wohlwollenden, einfachen Nichtmuslimen unterstützt, Menschen wie die Zuhörer meiner Lesungen.
Gewiss musste ich einen Preis für meinen Abschied vom Islam und für den Weg in die Öffentlichkeit bezahlen. Zum Beispiel muss ich wegen der Morddrohungen für Bewachung rund um die Uhr zahlen. Aber gerade weil der Islam fordert, jeden Abtrünnigen mit dem Tod zu bestrafen, teilen diese ständige Angst bis zu einem gewissen Grad alle Muslime, die den Glauben verlieren, und alle, die es mit den Vorschriften nicht ganz so genau nehmen.
In meinen Büchern und öffentlichen Auftritten möchte ich die Leser und Zuhörer anregen, an all die anderen zu denken – an die Menschen, die immer noch in der Welt gefangen sind, die ich hinter mir gelassen habe. Zu diesem Zweck verwende ich Anekdoten aus meinem Leben und Geschichten von Frauen, die ich persönlich kenne oder die mir gemailt oder ihren ganzen Mut zusammengenommen und mit mir gesprochen haben. Mit meinen Schilderungen möchte ich es meinen Zuhörern erleichtern, die Schicksale mit realen Menschen in Verbindung zu bringen. Unter dem Schleier stecken Menschen aus Fleisch und Blut, mit Verstand und Seele, und sobald man das Leid unter dem Schleier wahrnimmt, fällt es schwerer, sich abzuwenden.
Da sind die kleinen Mädchen, die gerne lernen, aber aus der Schule genommen werden, sobald sie die erste Regel haben, weil ihre Familien fürchten, dass sie in der Schule unreinen Einflüssen ausgesetzt sind und ihre Reinheit beflecken könnten. Kinder werden mit
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