Ich bin eine Nomadin
erkundigen sich unablässig nach den Angehörigen. Die amerikanische Familie ist nicht so weitläufig wie in der Clankultur, in der ich aufgewachsen bin, und nicht so eng gefasst wie das holländische Modell. * In Amerika bin ich verheirateten Paaren begegnet, Singles, die gerne heiraten würden, verlobten Paaren kurz vor der Hochzeit und geschiedenen, die unablässig darüber redeten, wie sie neu anfangen könnten. Eine nichteheliche Partnerschaft gilt, außer in bestimmten Kreisen, als unbeständig, und häufig verloben sich zusammenlebende Paare. Nur in New York scheint es salonfähig, über längere Zeit Single zu bleiben.
Außerdem habe ich in Stanford gelernt, dass Familien die Bausteine der amerikanischen Gesellschaft sind, denn aus den Familien wachsen wiederum die Gemeinschaften, die die amerikanische Nation bilden. Die Hochzeit von Margaret und John stand für mich sinnbildlich für so viele Merkmale der Vereinigten Staaten, die ich schätzen gelernt hatte.
Amerika ist ein Land mit einem eigenen Gründungsmythos: eine auf bestimmte Tugenden gegründete neue Republik, die von mutigen und zähen Pionieren in einem unberührten Land aufgebaut wurde. Dieser Gründungsmythos wird in unzähligen verschiedenen Weisen und über alle verfügbaren Medien ständig erzählt und wieder erzählt, aber in meinen Augen ist die amerikanische Hochzeit die eindrucksvollste Version. Hier ist alles enthalten: der optimistische Glaube an den Erfolg einer neuen Partnerschaft, die hehren, christlichen Ideale und Versprechen, und der Patriotismus, der bei keiner amerikanischen Familienfeier fehlen darf. Am erstaunlichsten ist, inwiefern viele amerikanische Hochzeiten das Ideal der Einheit verschiedener Völker versinnbildlichen.
Margaret wuchs in Colorado auf und ist die Urenkelin von Herbert Hoover, dem Präsidenten während der Weltwirtschaftskrise. Die Vorfahren ihres Mannes stammen aus Griechenland. Die Hochzeitsgesellschaft war noch bunter. Allein die Brautjungfern hatten sechs verschiedene Hautfarben. Was den sozialen Status anging, waren unter den Gästen Farmer ebenso wie Universitätsprofessoren. Dabei war nicht der leiseste Snobismus zu spüren. In den vielen Ansprachen wurde diese Mischung aus Rassen, Religionen und Schichten immer wieder mit unverhohlenem Stolz erwähnt. Als wollten sie zu mir sagen: Sieh her, das sind wir: eine Familie, die alle Völker willkommen heißt, die unsere Wertvorstellungen teilen. Und genau das ist für mich Amerika: eine große Familie, zu der jeder gehören kann, solange er ihre Werte akzeptiert.
Die große Frage lautet natürlich: Worin genau bestehen diese Wertvorstellungen? Und was ist, wenn man sie ablehnt oder nicht ernst nimmt?
Ich muss gestehen, dass ich voller afrikanischer wie auch europäischer Vorurteile nach Amerika kam. Dazu zählte etwa, dass Amerikaner die reinsten Heuchler sind, wenn sie die Familie so anpreisen, vor allem die Monogamie. In meinen ersten Jahren in Amerika verging kaum ein Monat, ohne dass ein Mann des öffentlichen Lebens in die Schlagzeilen geriet, weil er seine Frau betrogen hatte. Die Scheidungsrate schien meinen alten Verdacht zu bestätigen, dass schöne Worte über Familienwerte in Amerika eben nur das waren: Worte.
Aber die Vereinigten Staaten sind keine Utopie, und Amerikaner erheben nicht den Anspruch, perfekt zu sein. Sie wollen vor allen Dingen glücklich leben. Und das heißt, dass Amerikaner, wenn ein neues Projekt nicht funktioniert – sei es eine Ehe oder eine Silberstadt –, viel schneller als Menschen aus traditionsbewussten Gesellschaften bereit sind, Schluss zu machen und neu anzufangen, und das mit so wenig Groll wie möglich.
Im Allgemeinen verlassen sie sich – und das ist wohl der größte Unterschied zwischen Amerikanern und Europäern – nur ungern darauf, dass der Staat (oder »die Regierung«, wie die Amerikaner meist sagen) ihnen aus der Klemme hilft, wenn einmal etwas schiefgegangen ist. Natürlich rufen sie auch manchmal um Hilfe, sehr eindringlich zum Beispiel während der Finanzkrise zu der Zeit, als ich an diesem Buch schrieb. Aber im Gegensatz zu den Europäern sind Amerikaner instinktiv der Meinung, dass massive staatliche Intervention falsch ist, allenfalls eine Notmaßnahme sein kann.
In einer idealen Welt würden Amerikaner ihre Familien und Firmen gründen, Häuser und Arbeitsplätze aufbauen, ihre Waren und Dienstleistungen kaufen und verkaufen, samstags Pizza essen und sonntags in die Kirche gehen.
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