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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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erwachsenen Fremden verheiratet, die sie nie gesehen haben. Frauen sehnen sich danach, ein produktives Leben zu führen, werden aber stattdessen im Haus ihres Vaters oder Ehemannes eingesperrt. Mädchen und Frauen werden schon wegen eines Seitenblicks geschlagen, und zwar hart, oder wegen eines Hauchs Lippenstift, einer Textnachricht. Sie können sich an niemanden wenden, weil ihre Eltern, Gemeindemitglieder und Prediger die Strafen gutheißen.
    Die meisten amerikanischen Zuhörer reagierten zunächst mit Erstaunen und dann mit Mitgefühl auf die Horrorgeschichten von routinemäßigen Strafen im Leben einer muslimischen Frau, selbst wenn sie sich schwertaten zu glauben, dass so etwas auch in ihrem Land passierte. Es gab jedoch eine Ausnahme bei der Reaktionsweise: die Hochschulen, eigentlich genau die Umgebung, in der ich Neugier, eine lebhafte Debatte und sogar den Eifer und die Tatkraft gleichgesinnter Aktivisten erwartet hätte.
    Stattdessen reagierte so gut wie jedes Hochschulpublikum, vor dem ich stand, mit Wut und Protest. Ich war aus meiner Erfahrung als Aktivistin und Politikerin in Holland an radikale muslimische Studenten gewöhnt. Jedes Mal, wenn ich einen Vortrag hielt, strömten sie in den Saal, um mir in gebrochenem Holländisch Beschimpfungen entgegenzuschleudern oder Phrasen zu dreschen, noch dazu in so zerhackten Sätzen, dass man sich fragen musste, wie sie überhaupt die Zulassung zum Studium geschafft hatten.
    An den Hochschulen in den Vereinigten Staaten und in Kanada hingegen rissen junge und außerordentlich redegewandte Leute aus den muslimischen Studentenvereinigungen ganz einfach die Diskussion an sich. Sie schickten schon im Vorfeld Protestmails an die Organisatoren. Ein Theologiestudent in Harvard protestierte etwa, ich würde »nichts Substanzielles ansprechen, was wirklich das Leben muslimischer Frauen betrifft«, und wolle lediglich den Islam »beschmutzen«. Sie hängten Plakate auf und verteilten Flugblätter an die Zuhörer. Schon vor dem Ende meiner Rede standen sie vor dem Mikrofon Schlange und verdrängten alle Nichtmuslime. Sie sprachen perfekt Englisch, waren überwiegend sehr wohlerzogen und wirkten viel besser assimiliert als ihre europäischen Kommilitonen. Unter ihnen waren deutlich weniger bärtige junge Männer in knöchellangen Gewändern (die damit der Tradition entsprachen, die besagte, dass sich die Begleiter des Propheten aus Demut so gekleidet hätten), und der Anteil junger Frauen in abscheulichen, schwarzen Verhüllungen war sogar noch geringer. In den Vereinigten Staaten trug ein radikaler, muslimischer Student vielleicht einen kleinen Spitzbart, eine junge Frau allenfalls ein dünnes, attraktives Kopftuch. Ihr ganzes Auftreten war längst nicht so bedrohlich, aber sie waren allgegenwärtig.
    Manche beteuerten zu Beginn, wie sehr sie all mein Leid bedauerten, fügten dann jedoch hinzu, diese sogenannten Traumata seien abnormal, eine »Sache der Kultur«, und hätten nichts mit dem Islam zu tun. Wenn ich dem Islam die Schuld an der Unterdrückung der Frauen gebe, erklärten sie, fühlten sie sich persönlich als Muslime verunglimpft. Ich hätte nicht verstanden, dass der Islam eine Religion des Friedens sei und der Prophet Frauen sehr gut behandelt habe. Mehrmals musste ich mir anhören, dass ein Angriff auf den Islam lediglich dem Ziel eines sogenannten kolonialen Feminismus diene, der seinerseits angeblich ein Vorwand für den Krieg gegen den Terror und die üblen Pläne der US-Regierung sei.
    Ein College lud mich als Rednerin zu einer Vortragsreihe über muslimische Frauen ein. Ich war erstaunt und hocherfreut, dass eine amerikanische Hochschule dem Thema eine ganze Vortragsreihe widmen wollte, aber als ich das Plakat für die Reihe erhielt, kam die Ernüchterung.
    »Der Schleier, Ehrenmorde und Genitalverstümmelungen werden derzeit im Westen als Zeichen für die Unterdrückung muslimischer Frauen angesehen«, las ich dort.
    So weit, so gut, doch dann ging es weiter:
    Die Befreiung muslimischer Frauen hat zur Rechtfertigung für Invasionen im Rahmen des Kriegs gegen den Terror gedient. Das ist nicht Neues. Seit den Tagen des britischen Kolonialismus wurde die Frauenfrage eingesetzt, um Herrschaft zu rechtfertigen. Genau das bezeichnet Leila Ahmed als kolonialen Feminismus: die selektive Sorge um die Not muslimischer Frauen, wobei man sich auf den Schleier statt auf Bildung konzentrierte, während gleichzeitig in England den Frauen das Wahlrecht verweigert

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