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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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dar«, sagte ich stets zu den muslimischen Studenten, die mich belehren wollten. »Indem Sie es ignorieren, tun Sie, ob als Student oder Erwachsener, der eigenen Gemeinde keinen Gefallen. Wenn die Suche nach der Wahrheit Ihr Ziel ist, was die Bildung eigentlich leisten sollte, dann lässt sich nicht leugnen, dass eine strenge Auslegung des Islam eine Vorbereitung auf Bigotterie, Gewalt und Unterdrückung ist. Sie können nicht bestreiten, dass das Versagen muslimischer Gesellschaften in der heutigen Welt bei der Aufgabe, den eigenen Menschen Frieden, Wohlstand und Arbeitschancen zu bieten, mit diesen Überzeugungen zusammenhängt. Ganz gleich, ob Sie aus Pakistan, Marokko oder Somalia stammen, Sie leben aus einem bestimmten Grund nicht mehr dort. Nehmen Sie doch bitte einfach an, wofür Sie und Ihre Eltern das Flugticket nach Amerika gekauft haben: eine faire Justiz und ein besseres Leben an einem Ort, an dem man vor Tyrannei sicher sein kann, die Früchte der eigenen Arbeit behalten und bei der Regierung des Landes mitbestimmen darf. Und wenn Sie der Meinung sind, in Amerika sollte die Scharia eingeführt werden, dann fliegen Sie bitte nach Hause zurück und sehen sich einmal an, was das wirklich bedeutet.«
    Ich zitierte den Koran, mit Sure und Vers, wo er ausdrücklich eine ungleiche und grausame Behandlung der Frau verlangt. Zum Beispiel weist die 4. Sure, Vers 34, Männer an, Frauen zu schlagen, von denen sie möglichen Ungehorsam fürchten. Als Reaktion wurden manche Zuhörer wütend und riefen, andere Religionen hätten ebenfalls Passagen in ihren heiligen Büchern, die den Frauen nicht gerade wohlgesinnt seien. Andere argumentierten geradezu albern, mit Schlagen sei lediglich ein symbolischer Klaps mit einem winzigen Stöckchen, etwa von der Größe einer Zahnbürste, gemeint. Die meisten kamen ziemlich schnell auf ihr Lieblingsthema zurück: meine außerordentlich traumatisierende Jugend, meine rachsüchtige Privatfehde gegen alle Muslime.
    Derartige Begegnungen mit kleinen, aber lautstarken Gegnern waren unerfreulich. Aber gelegentlich spürte ich, dass meine Argumente zumindest etwas erreichten. Ich bewirkte vielleicht keinen Sinneswandel bei den selbst ernannten Verteidigern des Islam, aber der Mehrheit der nichtmuslimischen Studenten unter den Zuhörern öffnete ich die Augen. Häufig erblickte ich nacktes Entsetzen in den Gesichtern der amerikanischen Kommilitonen, wenn sie begriffen, dass diese Kopftuch tragenden Mädchen und bärtigen Jungen, mit denen sie seit Jahren Kaffee getrunken, gelesen und Kurse besucht hatten, ihre elementarsten Grundüberzeugungen nicht teilten.
    Bei einem Vortrag am Scripps College, einem Frauencollege mit musischer Ausrichtung in Claremont in Nordkalifornien, war der Hörsaal bis zum letzten Platz besetzt. Schon vor dem Ende meiner Ausführungen bildete sich eine lange Schlange junger Frauen vor dem Mikrofon. Aber noch bevor die erste das Wort ergreifen konnte, brüllte eine junge Frau mit Kopftuch aus dem Publikum: »Wer gibt Ihnen verdammt noch mal das Recht, über den Islam zu sprechen?«
    Ein rothaariges Mädchen aus der Schlange vor dem Mikrofon brüllte zurück: »Der erste Zusatzartikel UNSERER Verfassung!«
    Das war regelrecht erhebend.

    Im März 2008 brachte die New York Times einen Artikel mit der Überschrift: »Entschlossen oder furchtsam. Viele Muslime gehen zu häuslichem Unterricht über.« Bestürzt las ich, dass 40 Prozent der pakistanischen und südostasiatischen Familien im Bezirk Lodi im Osten von San Francisco ihre Töchter nicht zur Schule schickten, sondern zu Hause unterrichten ließen. Der Artikel zählte viele mögliche Gründe auf: damit muslimische Kinder nicht gehänselt und verspottet werden, damit sie nicht mit Schweinefleisch in Berührung kommen oder von amerikanischen Einflüssen »verdorben« werden – aber vor allem, damit ihre Töchter nicht Verhaltensweisen übernehmen, die ihre Familien »entehren« und dazu führen, dass die Mädchen nicht mehr »heiratsfähig« sind.
    Lächelnde, junge Frauen mit Schleier, lesend oder mit dem Jojo spielend auf idyllisch anmutenden Fotos lindern den Schock, den diese Information uns sonst versetzen müsste. Aber aus welchem Grund soll amerikanischen Bürgern oder künftigen amerikanischen Bürgern beigebracht werden, dass Mädchen ihren Kopf bedecken oder gar ihr Gesicht verhüllen müssen? Dass Jungen und Männer das Recht haben, Frauen zu schikanieren? Dass Loyalität zu einem anderen, höheren

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