Ich bin eine Nomadin
Muslime im Alter von achtzehn bis neunundzwanzig mit Ja. Das entspricht einem Viertel der erwachsenen amerikanischen Muslime unter dreißig, und unabhängig davon, wie man die Zahl der Muslime in Amerika zählt (die Schätzungen schwanken zwischen zwei und acht Millionen), sind das sehr viele Menschen.
Wir befinden uns noch in einem frühen Stadium der Radikalisierung der muslimischen Jugend in Amerika. Doch die ersten Symptome des Chaos zeigen sich bereits, genau wie in Europa. Es sind bereits etliche Fälle junger amerikanischer Muslime (zum großen Teil Somalis, daneben auch Konvertiten) bekannt, die aus den Vereinigten Staaten in Ausbildungslager für Dschihad-Kämpfer gereist sind. Dem Vernehmen nach sind mindestens zwei Dutzend somalische Jugendliche aus Minnesota nach Somalia gereist, um dort im Bürgerkrieg zu kämpfen. Nichts anderes könnte meine These eindrücklicher belegen, dass die vom radikalen Islam ausgehende Gefahr die Innenpolitik ebenso wie die Außenpolitik betrifft.
Gelegentlich wurde ich eingeladen, in Dienststellen der US-Regierung über kulturelle Aspekte des Islam zu sprechen, über »kulturelle Aufklärung«, wie die Militärs so etwas nennen. Meine Zuhörer wollten mehr über muslimische Sitten und Bräuche erfahren, um harmlose traditionelle Bräuche von den neuen Praktiken der politisierten Muslime unterscheiden zu können. Sie wollten in der Lage sein, frühzeitig zu erkennen, wenn sich möglicherweise etwas zusammenbraute, was amerikanischen Interessen schaden könnte.
Die amerikanischen Offiziellen stellten mir viele Fragen zu meinen Jahren als Teenager, als ich ungefähr sechzehn war. Zu jener Zeit begann meine Religionslehrerin Schwester Aziza, mich und meine Schulkameradinnen zu ermuntern, dass wir den Islam der Amulette und abergläubischen Gebete zu unseren Vorfahren ablehnen sollten. Stattdessen lehrte sie uns eine wörtliche Auslegung des Korans. Schwester Aziza überredete uns, den Schleier zu tragen und in allen Angelegenheiten nach Möglichkeit der ursprünglichen Absicht und dem Verhalten des Propheten Mohammed und seiner Anhänger nachzueifern. Das Pentagon wollte Näheres wissen über die Methode, wie diese Bewegung Menschen in meinem Umfeld ansprach, wie sie sich von »normalen Muslimen« zu »politisch aktiven« Muslimen wandelten, aggressiv feindselig gegen Juden und gegen den Westen. Die militärischen Analytiker interessierten sich nicht nur für Dschihad-Kämpfer, sondern auch für den Prozess, wie ganze Gemeinschaften radikalisiert wurden, damit sie den Dschihad-Kämpfern halfen, sie unterstützten und gegebenenfalls aufnahmen.
Als Erstes erzählte ich ihnen, wie sich Moscheen verändert haben. In die traditionellen Moscheen in Nairobi – in Eastleigh, an der Juja Road und der Park Road – gingen nur Männer, und die Predigt wurde einmal wöchentlich zu einer monotonen, fast einschläfernden Melodie in einem Arabisch gesungen, das so gut wie niemand verstand. In den Achtzigerjahren infiltrierten neuartige Gläubige und Lehrer diese altmodischen Moscheen und gründeten in Wohnzimmern und Kellerräumen neue Gotteshäuser. Es wurde nicht nur freitags gepredigt, und für junge Leute wurden Studienkreise eingerichtet, wo wir den Koran und die Hadithe lasen und interpretierten. Der Ton der Predigten wurde grell und laut, mit einer fundamentalistischen Schärfe und dramatischen Steigerungen und Tempowechseln. Und der Inhalt war eindeutig politisch. Auch das Vokabular der Predigten änderte sich. Die neuen Imame schrieen fortwährend Worte wie yahud ( »Jude«), kafir (»Ungläubiger«) und munafiq (»Heuchler«), womit sie Muslime meinten, die ihrer Auslegung des Korans nicht zustimmten.
Ich schilderte eine Reise nach Zypern 2006 in meiner Funktion als Abgeordnete des niederländischen Parlaments. Wir besuchten das Büro des Erzbischofs Chrysostomos. Im Nachbargebäude befand sich eine Moschee, und schon am Klang der Worte, die während der Predigt gerufen wurden, hörte ich, dass hier kein »normaler«, traditioneller Imam predigte, sondern ein politischer, radikalisierter Lehrer. Als ich den Erzbischof darauf hinwies, seufzte er und sagte, der Wandel sei bereits vor Jahren erfolgt. Davor hätten die Predigten wie eine friedliche Litanei geklungen, aber dann sei der Ton lauter und feindseliger geworden.
Ein weiteres Merkmal einer erneuerten Moschee sei es, erklärte ich, dass dorthin in Scharen Frauen strömten, während sie so gut wie nie die alten Moscheen
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