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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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kniehohen steinernen Ofen, der wie eine Sanduhr geformt und so breit wie ein großer Kochtopf war. Der untere Teil der Sanduhr trug den Ofen, der obere Teil enthielt einen Aschehaufen, unter dem glühende Holzkohle vom Abend zuvor begraben lag. Meine Großmutter brachte mir bei, wie man die Glut mit einer Metallzange und einem eisernen Kehrblech heraussammelt.
    Sie saß mir ständig im Nacken und sagte mir, ich solle mich beeilen, denn je länger ich brauchte, die glühenden Stücke zu finden und aufzuhäufen, desto schneller verglühten sie. Wenn ich alle herausgepickt hatte, nahm ich das Becken, trug es ein paar Meter von der Küche weg und schüttete die meiste Asche aus. Danach stellte ich es wieder in die Ecke, klopfte die restliche Asche glatt und häufte die noch brennende Glut darauf. Dann wedelte ich dem Feuer Luft zu und blies hinein. Da Kaminzug und Luftlöcher fehlten, war das Feuer in diesem Becken sehr schwer in Gang zu bringen, und deshalb schrie Großmutter mich immer an, doch schneller zu machen, bevor die Glut verlosch. Wenn es endlich brannte, nahm ich den Aluminiumkessel, füllte ihn mit Wasser, stellte ihn vorsichtig auf die drei erhöhten Punkte am Beckenrand und blies und fächerte weiter, bis das Wasser kochte.
    Dann nahm ich ein Päckchen Lipton English Breakfast Tea, holte ein Schäufelchen Teeblätter heraus und warf sie ins kochende Wasser. Oft kochte das Wasser im Kessel über und löschte das Feuer, das ich gerade so mühevoll in Gang gebracht hatte. Und die ganze Zeit stand Großmutter hinter mir und verfluchte und bespuckte mich wegen meiner Unfähigkeit. Oft griff sie ein, aus Angst, ich würde das Feuer löschen oder den Tee ungenießbar machen. Und tatsächlich hatte ich solche Angst davor, dass der Kessel überkochte und das Feuer löschte, dass ich oft die Teeblätter zu früh hineinwarf und der Tee dann nicht schmeckte.
    Großmutter hätte das alles auch selbst tun können, aber sie war der festen Überzeugung, dass die älteste Tochter noch vor ihrem sechsten Geburtstag in der Lage sein sollte, das Frühstück zuzubereiten.
    Sobald ich es einigermaßen schaffte, Wasser zu kochen, brachte Grandmutter mir bei, ihre Ziege zu melken. Zunächst zeigte sie mir, wie es ging: Sie band die Ziege fest und stellte einen Holzschemel direkt hinter sie, schob ihre Beine auseinander, zog einen Eimer unter das Euter und griff nach den Zitzen. Doch als ich das erste Mal auf dem Schemel saß und nach dem Euter fassen wollte, gab mir die Ziege einen Tritt gegen die Stirn und stieß mich vom Schemel. Jeden Tag trat sie nach mir, bis ich vorn und hinten (vom Hinfallen) mit blauen Flecken übersät war. Manchmal weigerte ich mich, der Ziege näher zu kommen. Großmutter zog und stupste und schlug mich manchmal sogar, doch das war nicht so schlimm wie ein Tritt dieses Tiers.
    All dies war im Grunde eine Demutsübung. Großmutter klagte ständig über den Verlust unserer nomadischen Lebensweise – unserer Seele, wie sie es sah – und darüber, dass unsere Kultur allmählich einem neuen, dekadenten Lebensstil wich. Sie versuchte zu retten, was zu retten war, indem sie mich zwang, nach ihren Vorstellungen zu leben. Dazu gehörte, dass ich alles lernen musste, was eine gute Ehefrau ausmachte. In ihren Augen war es schon ein Zeichen meiner Verderbtheit, wenn die Ziege mich trat, ich das Feuer nicht zum Brennen brachte oder wenn sie Mühe hatte, mich aus dem Bett zu bekommen. Das alles wies darauf hin, dass Elend und Untergang auf mich warteten. »Wer wird dieses Mädchen je heiraten, wenn sie eine Frau ist?«, lamentierte sie. »Ayaan ist zu nichts zu gebrauchen.«
    Alle kleinen Mädchen, die ich in Mogadischu kannte, durchliefen diese harte Schule. Als wir in Saudi-Arabien lebten, mussten auch die saudischen Mädchen in der Nachbarschaft kochen lernen, obwohl sie Bedienstete hatten. In Äthiopien waren die somalischen Mädchen und Frauen ständig mit Kochen, Saubermachen, Waschen und anderen dienenden Tätigkeiten beschäftigt. Als wir nach Kenia zogen, freute ich mich darüber, dass die Holzkohleöfen dort leichter zu bedienen waren. Sie waren aus Metall und hatten einen Zug, sodass ich nicht so viel pusten musste. Außerdem war ich inzwischen stärker und konnte den Kessel schnell vom Feuer nehmen, bevor er überkochte, ohne mich dabei zu verbrennen oder das Feuer zu löschen.
    Manchmal fand ich, dass das Leben hart zu mir war, doch dann dachte ich an Mädchen wie Ubah, die ein paar Häuser weiter

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