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Ich Bin Gott

Titel: Ich Bin Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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Ewigkeit fortzubleiben. Als er zurückkam, hatte er einen Pappkarton in der Hand. Den reichte er Vivien und setzte sich wieder.
    » In dieser Schachtel sind alle Bilder, die ich von Wendell noch habe. Es müssten auch welche aus Vietnam dabei sein.«
    Vivien öffnete den Karton, der mit Fotos vollgestopft war, manche in Farbe, manche in Schwarz-Weiß. Sie sah sie rasch durch. Das Motiv war immer dasselbe, ein sympathischer blonder Junge, allein oder mit Freunden, am Steuer eines Autos, als Kind auf einem Pony, mit seinem Bruder, mit den Eltern, mit langen, von einem Band zusammengehaltenen Haaren, in der Hand eine Gitarre. Sie hatte schon fast alle durch, als sie es fand. Ein Schwarz-Weiß-Foto, das zwei Soldaten vor einem Panzer zeigte. Der eine war der lächelnde Junge von den anderen Aufnahmen. Der andere war der, der auf ihren Fotos die Katze mit den drei Beinen in die Kamera hielt.
    Vivien drehte die Fotografie um und fand auf der Rückseite einen verblassten Schriftzug
    The King und Little Boss
    geschrieben in einer unregelmäßigen Handschrift, die in ihren Augen jedoch eine wesentliche Eigenschaft hatte: Sie war ganz anders als die des Briefes, der diesen ganzen Wahnsinn ins Rollen gebracht hatte. Sie gab Russell das Foto, damit er die Frucht seiner Eingebung sehen konnte. Als sie es wieder in den Händen hielt, reichte sie es Lester Johnson.
    » Was bedeutet die Aufschrift auf der Rückseite?«
    Der Mann nahm das Foto und betrachtete erst die Vorderseite. Dann schaute er auf die Rückseite.
    »› The King ‹ war der Spitzname, den sich Wendell aus Spaß selbst gegeben hatte. Dasselbe gilt vermutlich für › Little Boss ‹ .«
    Er gab Vivien das Foto, das die Spuren der Zeit trug, wieder zurück.
    » Bitte entschuldigen Sie meine Behauptung, ich hätte den Mann noch nie gesehen. Diese Fotos habe ich vermutlich vor zwanzig Jahren zuletzt angeschaut.«
    Er lehnte sich wieder zurück, und Vivien sah überrascht, dass seine Augen glänzten. Vielleicht diente seine zynische Haltung nur dem Selbstschutz. Vielleicht hatte ihm die Tatsache, dass er seinen Bruder nicht wiedergesehen hatte, doch mehr zugesetzt, als er zugeben wollte. Und jetzt war sie gekommen und hatte eine alte Wunde aufgerissen.
    » Haben Sie wirklich keine Idee, wer der Mann auf dem Foto sein könnte?«
    Der Mann schüttelte stumm den Kopf. Sein Schweigen war beredter als viele Worte. Es besagte, dass er an diesem Abend seinen Bruder zum zweiten Mal verloren hatte. Es besagte, dass sie ihre einzige Spur verloren hatten.
    » Können wir diese Fotografie vorläufig behalten? Ich verspreche Ihnen, dass Sie sie wiederbekommen.«
    » In Ordnung.«
    Vivien stand auf. Die anderen begriffen, dass ihre Mission in diesem Haus erfüllt war. Lester Johnson schien seine ganze Energie verloren zu haben. Schweigend begleitete er sie zur Tür. Vielleicht grübelte er darüber nach, wie wenig es brauchte, um Erinnerungen an die Oberfläche zu holen, und wie viel Schmerz sie auszulösen vermochten.
    Als Vivien gerade hinausgehen wollte, hielt er sie zurück.
    » Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Detective?«
    » Bitte.«
    » Warum suchen Sie ihn?«
    » Das darf ich Ihnen nicht verraten. Eines jedoch kann ich Ihnen versichern.«
    Sie machte eine Pause, um dem, was sie nun sagen wollte, besonderes Gewicht zu verleihen.
    » Ihr Bruder hat sich nicht deswegen nicht bei Ihnen gemeldet, weil er es nicht wollte. Ihr Bruder ist in Vietnam gefallen wie viele andere junge Männer auch.«
    Sie sah den Mann tief Luft holen.
    » Danke. Auf Wiedersehen.«
    » Ich danke Ihnen, Mr. Johnson. Grüßen Sie Billy. Er ist ein prima Junge.«
    Als sich die Tür hinter ihnen schloss, war sie froh, seine Zweifel beseitigt zu haben. Nun konnte sie ihn allein lassen, damit er ungestört ein paar Tränen um seinen Bruder vergießen konnte. Als sie auf das Auto zuging, dachte sie, dass sie selbst allerdings noch weit von Gewissheiten entfernt war. Sie war in der Überzeugung nach Hornell geflogen, am Ziel anzukommen. Stattdessen stand sie wieder ganz am Anfang.
    Kriege hören irgendwann auf. Der Hass aber bleibt.
    Russells Satz fiel ihr ein, als sie die Autotür öffnete. Der über Jahre genährte Hass hatte einen Mann dazu gebracht, eine Stadt mit Minen zu übersäen. Einen anderen Mann hatte er dazu gebracht, sie zu zünden. Viviens Illusion, sie würde in einem anderen Gemütszustand nach New York zurückkehren, war der Realität zum Opfer gefallen. Unweigerlich würde sie während des

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