Ich Bin Gott
gesamten Rückflugs über die Folgen dieses grausamen Spiels, das der Krieg war und das nach so vielen Jahren noch Opfer forderte, nachdenken müssen.
29
Als der Wecker klingelte, schlug Vivien nicht sofort die Augen auf. Sie genoss es, noch einen Augenblick unter der Decke liegen zu bleiben, denn nach einer unruhigen und wenig erholsamen Nacht fühlte sie sich ein wenig müde. Sie lag schräg im Bett. Offenbar hatte sich also die Unruhe, mit der sie sich unentwegt hin und her gewälzt hatte, auch nach dem Einschlafen nicht gelegt. Sie tastete nach dem Wecker und schaltete ihn aus. Er zeigte neun Uhr. Dann streckte sie sich und atmete tief ein. Das Kissen neben ihr roch nach Russell.
Zumindest bildete sie sich das ein, was das Ganze nicht besser machte.
Sie ließ ihren Blick durch die vertraute Landschaft ihres Schlafzimmers schweifen. Der Fortgang der Ermittlungen hing im Augenblick nicht von ihr ab, daher hatte Bellew ihr geraten, sich ein wenig Ruhe zu gönnen. Sie hatte nur gelächelt. Als wäre es möglich, Ruhe zu finden, wenn das Telefon auf dem Nachttisch lag und jeden Moment eine Nachricht übermitteln könnte, bei der man am liebsten den Kopf unter die Bettdecke stecken und erst tausend Jahre später tausend Meilen entfernt wieder aufwachen würde.
Sie stand auf, zog ihren weichen Frotteebademantel über und nahm das Handy. Dann ging sie barfuß in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Anders als sonst hatte sie keine Lust zu frühstücken. Allein schon beim Gedanken daran krampfte sich ihr Magen zusammen. Dabei war ihre letzte Mahlzeit der Hamburger mit Russell am Madison Square Garden gewesen.
Russell …
Als sie den Filter in die Espressomaschine legte, regte sich Trotz in ihr. Bei allem, was sie gerade durchmachte, mit diesem Verrückten da draußen, der die halbe Stadt in die Luft zu jagen drohte, und mit Greta, der es immer elender ging, war in ihrem Kopf unmöglich noch Platz für diesen Mann.
Am Abend zuvor war er nach der Rückkehr aus Hornell mit in die Wohnung gekommen, hatte seine Sachen zusammengesucht und war gegangen. Er hatte sie nicht gefragt, ob er bleiben könne, und sie wusste, dass er ein entsprechendes Angebot abgelehnt hätte.
In der Tür hatte er sich noch einmal umgedreht und sie mit seinen dunklen Augen angesehen. Zur Traurigkeit darin hatte sich eine gewisse Entschlossenheit gesellt.
» Ich ruf dich morgen früh an.«
» In Ordnung.«
Ein paar Sekunden war sie vor der geschlossenen Tür stehen geblieben, vor einer der vielen Türen, die ihr im Moment verschlossen waren.
Nun schenkte sie sich Kaffee ein, der bitter bleiben würde, egal wie viel Zucker sie hineintat.
Sie sagte sich, dass genau das geschehen war, was so oft im Leben geschah. Zu oft vielleicht. Es war eine Nacht der Liebe gewesen, der einzigen Liebe, die nicht mit der Zeit erkaltet, jener, die am Abend auflodert und bei Sonnenaufgang wieder erlischt. So hatte er es gewollt, und so musste auch sie es wollen.
Doch wenn das der Preis ist, um dich zu bekommen, nehme ich das gerne in Kauf …
» Scher dich zum Teufel, Russell Wade.«
Sie sprach die Verwünschung laut aus, während sie am Küchentresen stand und einen Kaffee trank, der ihr nicht schmeckte. Dann zwang sie sich, an etwas anderes zu denken.
Bevor der Hubschrauber vom Hornell Municipal Airport abgehoben hatte, um sie nach New York zurückzubringen, hatte sie den Captain angerufen, um ihm die schlechte Nachricht zu überbringen. Nachdem sie ihm die Fakten erläutert hatte, verriet ein Stocken, dass er einen Fluch unterdrückte.
» Wir müssen also wieder von vorne anfangen.«
Vivien gab sich nicht geschlagen.
» Eine Möglichkeit haben wir noch.«
» Und das wäre?«
In der Stimme des Captains schwang Misstrauen mit.
» Wir müssen bis zum Vietnamkrieg zurückgehen. Wir müssen unbedingt erfahren, was mit dem richtigen Wendell Johnson und diesem anderen Typen mit dem Spitznamen Little Boss passiert ist. Das ist das Einzige, was uns bleibt.«
» Ich rufe den Chef an. Ich glaube zwar nicht, dass er um diese Uhrzeit noch etwas erreichen kann, aber morgen früh macht er sich bestimmt gleich an die Arbeit.«
» Okay, halt mich auf dem Laufenden.«
Die Antwort wurde vom Rotor, der die Luft durchschnitt, gekappt. Sie und Russell kletterten in den Hubschrauber. Den gesamten Flug über konnte kein Lärm ihr eisiges Schweigen übertönen.
Das Handy klingelte. Wie durch ihre Gedanken heraufbeschworen, erschien Bellews Name auf dem
Weitere Kostenlose Bücher