Ich Bin Gott
genannt.
» Wer ist dieser Typ?«
» Russell Wade.«
» Der Russell Wade? Der mit fünfundzwanzig den Pulitzerpreis gewonnen hat, den man ihm drei Monate später wieder weggenommen hat?«
Der Captain nickte. Das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden.
» Genau der.«
Vivien konnte den Anflug von Bitterkeit aus der Stimme ihres Vorgesetzten heraushören. Jeder würde wohl angesichts eines derart systematischen, fast genüsslichen Akts der Selbstzerstörung so empfinden. Sie selbst kannte eine solche Situation aus ihrem persönlichen Umfeld.
» Wir haben ihn gestern Abend aufgegriffen, bei einer Razzia in einem illegalen Spielkasino. Er war sturzbetrunken und hat sich der Festnahme widersetzt. Von Tyler hat er sich, glaube ich, sogar einen Fausthieb eingehandelt.«
Bellew legte die kurze Zwischenbemerkung gleich wieder zu den Akten und wandte sich dem eigentlichen Grund ihrer Begegnung zu.
» Du solltest dich jetzt besser mit Erlaubnis der Lebenden einem Toten zuwenden. Er ist schon so lange dort unten. Lassen wir ihn nicht noch länger warten.«
» Das ist sicherlich sein gutes Recht.«
Bellew ließ sie allein, und Vivien fand sich plötzlich draußen wieder, in der milden Luft dieses Frühlingsnachmittags. Sie ging die wenigen Stufen hinunter. Für einen Moment sah sie aus dem Augenwinkel, wie Russell Wade und der Anwalt in eine Limousine mit Fahrer einstiegen. Der Wagen setzte sich in Bewegung und rauschte an ihr vorbei. Der Mann, der für eine Nacht Gast im Plaza gewesen war, hatte die Sonnenbrille abgenommen und sah durch das geöffnete Fenster hinaus. Ihre Blicke begegneten sich. Vivien war erstaunt über die große Traurigkeit, die in diesen intensiven dunklen Augen lag. Dann war das Auto vorbei, und das Gesicht löste sich in Bewegung auf. Für einen Augenblick hatten zwei Planeten, die sich an entgegengesetzten Punkten der Galaxie befanden, einander berührt, dann wurde die Distanz durch eine getönte Fensterscheibe wiederhergestellt.
Kurz darauf war Vivien wieder bei sich und tat, was die Welt von ihr erwartete. Der Ort, an dem die Leiche gefunden worden war, lag so nah, dass sie zu Fuß schneller dort sein würde als mit dem Auto. Unterwegs dachte sie über die wenigen ihr bekannten Informationen nach. Eine Baustelle war der ideale Ort, um eine unerwünschte Person für immer verschwinden zu lassen. Das war weder das erste, noch das letzte Mal. Ein Mord, eine einbetonierte Leiche, die alte Geschichte von Gewalt und Wahnsinn.
Welcher Wolf gewinnt?
Den Kampf der Wölfe gab es seit Anbeginn der Zeiten. Im Laufe der Jahrhunderte hatte es viele Menschen gegeben, die den falschen Wolf gefüttert hatten. Vivien ging weiter und spürte die Aufregung, die sie immer überfiel, wenn sie es mit einem neuen Fall zu tun bekam. Ihr war bewusst, dass alle Beteiligten, ob sie ihn nun löste oder nicht, beschädigt daraus hervorgehen würden.
9
Vivien ging die 3 rd Street entlang, bis sie die Baustelle erreichte.
Sie war über Ampeln gegangen, war an Bars vorbeigekommen, hatte den Weg anderer Leute gekreuzt, ein ganz normaler Mensch unter ganz normalen Menschen. Jetzt musste sie aus der Anonymität in der bunten Menge heraustreten und eine exklusive Rolle einnehmen. Das Auftauchen eines Detectives am Schauplatz eines Mordes war immer ein besonderer Moment, wie ihn etwa ein Schauspieler erlebt, wenn sich im Theater der Vorhang hebt. Vor Ankunft der mit dem Fall betrauten Person würde niemand etwas anfassen. Vivien wusste, was sie erwartete, und sie wusste auch, dass sie auf vieles davon verzichten könnte. Der Ort, an dem ein Mord begangen worden war, egal ob erst vor kurzem oder schon vor langer Zeit, besaß eine morbide Faszination. Einige Schauplätze von Gewalttaten waren sogar schon zu touristischen Zielen geworden. Für Vivien waren es Orte, an denen sie ihre Gefühle ausschalten und ihre Arbeit erledigen musste. Alle Hypothesen, die sie auf ihrem kurzen Weg aufgestellt haben mochte, mussten jetzt anhand der Fakten überprüft werden.
Der Streifenwagen parkte neben dem Gehweg, abgeschirmt durch ein orangefarbenes Kunststoffgitter, das den in die Straße hineinragenden Teil des Baustellenareals absperrte. Bowman und Salinas, die beiden von Bellew vorausgeschickten Polizisten, waren nirgends zu sehen. Vermutlich waren sie am Tatort und sperrten den Bereich, wo der Körper gefunden worden war, mit gelbem Band ab.
Die Arbeiter hatten sich vor einem der beiden Baucontainer am Rand der Baustelle
Weitere Kostenlose Bücher